Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Entsendung von Arbeitnehmern. Bereithaltung und Übersetzung der Lohnunterlagen. Arbeitsgenehmigung. Sanktionen. Verhältnismäßigkeit. Geldstrafen mit im Vorhinein festgelegtem Mindestsatz. Kumulierung. Fehlende Höchstgrenze -Verfahrenskosten. Ersatzfreiheitsstrafe
Normenkette
AEUV Art. 56
Beteiligte
Bezirkshauptmannschaft Murtal |
Tenor
Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Einholung verwaltungsbehördlicher Genehmigungen und auf die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung von Geldstrafen vorsieht,
- die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen,
- die für jeden betreffenden Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden,
- zu denen im Fall der Abweisung einer gegen den Strafbescheid erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt und
- die im Fall der Uneinbringlichkeit in Ersatzfreiheitsstrafen umgewandelt werden.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) mit Entscheidungen vom 25. Januar 2018 (C-64/18), vom 31. Januar 2018 (C-140/18) sowie vom 16. Februar 2018 (C-146/18 und C-148/18), beim Gerichtshof eingegangen am 1. Februar 2018 (C-64/18), am 22. Februar 2018 (C-140/18) sowie am 23. Februar 2018 (C-146/18 und C-148/18), in den Verfahren
Zoran Maksimovic (C-64/18),
Humbert Jörg Köfler (C-140/18, C-146/18 und C-148/18),
Wolfgang Leitner (C-140/18 und C-148/18),
Joachim Schönbeck (C-140/18 und C-148/18),
Wolfgang Semper (C-140/18 und C-148/18)
gegen
Bezirkshauptmannschaft Murtal,
Beteiligte:
Finanzpolizei,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter L. Bay Larsen (Berichterstatter) und M. Safjan,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Maksimovic, vertreten durch die Rechtsanwälte R. Grilc, R. Vouk, M. Škof, M. Ranc und S. Grilc,
- von Herrn Köfler, Herrn Leitner, Herrn Schönbeck und Herrn Semper, vertreten durch die Rechtsanwälte E. Oberhammer und P. Pardatscher,
- der Finanzpolizei, vertreten durch B. Schlögl als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil, J. Pavliš und L. Dvořáková als Bevollmächtigte,
- der kroatischen Regierung, zunächst vertreten durch T. Galli, dann durch M. Vidović als Bevollmächtigte,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Tornyai und G. Koós als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der slowenischen Regierung, vertreten durch A. Grum und J. Morela als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer, L. Malferrari und H. Krämer als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssachen zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 56 AEUV, der Art. 47 und 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) sowie der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems „IMI-Verordnung”) (ABl. 2014, L 159, S. 11).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Herrn Zoran Maksimovic, Herrn Humbert Jörg Köfler, Herrn Wolfgang Leitner, Herrn Joachim Schönbeck und Herrn Wolfgang Semper einerseits und der Bezirkshauptmannschaft Murtal (Österreich) andererseits über Geldstrafen, die von der Bezirkshauptmannschaft wegen diverser Verstöße gegen Bestimmungen des österreichischen Arbeitsrechts gegen die genannten Personen verhängt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2006/123/EG
Rz. 3
Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36) lautet:
„Diese Richtlinie berührt nicht das Arbeitsrecht, d. h. gesetzliche ode...