Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Entsendung von Arbeitnehmern. Meldung von Arbeitnehmern. Bereithaltung der Lohnunterlagen. Sanktionen. Verhältnismäßigkeit. Geldstrafen mit im Vorhinein festgelegtem Mindestsatz. Kumulierung. Fehlende Höchstgrenze. Verfahrenskosten

 

Normenkette

Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Richtlinie 2014/67/EU Art. 9, 20; AEUV Art. 56

 

Beteiligte

Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld

NE

Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld

 

Tenor

Art. 20 der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems „IMI-Verordnung”) ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die für den Fall der Nichteinhaltung arbeitsrechtlicher Verpflichtungen in Bezug auf die Meldung von Arbeitnehmern und die Bereithaltung von Lohnunterlagen die Verhängung hoher Geldstrafen vorsieht,

  • die einen im Vorhinein festgelegten Betrag nicht unterschreiten dürfen,
  • die je betroffenem Arbeitnehmer kumulativ und ohne Beschränkung verhängt werden und
  • zu denen im Fall der Abweisung einer gegen das Straferkenntnis erhobenen Beschwerde ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 20 % der verhängten Strafe hinzutritt.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) mit Entscheidung vom 9. Oktober 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Oktober 2018, in dem Verfahren

NE

gegen

Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld,

Beteiligte:

Finanzpolizei,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan, des Richters L. Bay Larsen (Berichterstatter) und der Richterin C. Toader,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV, der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. 1997, L 18, S. 1) sowie der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems („IMI-Verordnung”) (ABl. 2014, L 159, S. 11).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen NE und der Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (Österreich) über die Geldstrafe, die von der Bezirkshauptmannschaft wegen diverser Verstöße gegen Bestimmungen des österreichischen Arbeitsrechts gegen NE verhängt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2014/67

Rz. 3

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/67 lautet:

„Mit dieser Richtlinie wird ein gemeinsamer Rahmen einer Reihe angemessener Bestimmungen, Maßnahmen und Kontrollmechanismen festgelegt, die für eine bessere und einheitlichere Durchführung, Anwendung und Durchsetzung der Richtlinie 96/71… in der Praxis notwendig sind, einschließlich Maßnahmen zur Verhinderung und Sanktionierung jeglichen Missbrauchs und jeglicher Umgehung der anzuwendenden Rechtsvorschriften; sie berührt nicht den Geltungsbereich der Richtlinie 96/71…”

Rz. 4

Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten dürfen nur die Verwaltungsanforderungen und Kontrollmaßnahmen vorschreiben, die notwendig sind, um eine wirksame Überwachung der Einhaltung der Pflichten, die aus dieser Richtlinie und der Richtlinie 96/71… erwachsen, zu gewährleisten, vorausgesetzt, sie sind im Einklang mit dem Unionsrecht gerechtfertigt und verhältnismäßig.

Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten insbesondere folgende Maßnahmen vorsehen:

  1. die Pflicht des in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringers zur Abgabe einer einfachen Erklärung gegenüber den zuständigen nationalen Behörden spätestens zu Beginn der Erbringung der Dienstleistung in (einer) der Amtssprache(n) des Aufnahmemitgliedstaats oder in (einer) anderen von dem Aufnahmemitgliedstaat akzeptieren Sprache(n), die die einschlägigen Informationen enthält, die eine Kontrolle der Sachlage am Arbeitsplatz erlauben …

  2. die Pflicht zur Bereithaltung oder Verfügbarmachung und/oder Aufbewahrung in Papier- oder elektronischer Form des Arbeitsvertrags oder eines gleichwertigen Dokuments … einschließlich – sofern angebracht oder relevant – der zusätzlichen Angaben …, der Lohnzettel, … sow...

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