Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung der Bemessungsgrundlage, Nichtzahlung von Leasingraten, Finanzierungsleasing, Vorzeitige Beendigung eines Leasingvertrags
Leitsatz (amtlich)
1. Die in Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verwendeten Begriffe „Annullierung“, „Rückgängigmachung“ und „Auflösung“ sind dahin auszulegen, dass sie den Fall umfassen, dass bei einem Finanzierungsleasingvertrag mit fest vereinbarter Eigentumsübertragung der Leasinggeber die Zahlung des Leasingentgelts vom Leasingnehmer nicht mehr verlangen kann, weil er den Leasingvertrag wegen Vertragsverletzung durch den Leasingnehmer gekündigt hat.
2. In dem Fall, dass ein Leasingvertrag wegen Nichtzahlung der vom Leasingnehmer geschuldeten Raten endgültig beendet wurde, kann sich der Leasinggeber gegenüber einem Mitgliedstaat auf Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 berufen, damit die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer vermindert wird, auch wenn das einschlägige nationale Recht einen solchen Fall als „Nichtbezahlung“ im Sinne von Abs. 2 dieses Artikels einstuft und im Fall der Nichtbezahlung keine Verminderung der Steuerbemessungsgrundlage erlaubt.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 90 Abs. 1
Beteiligte
Lombard Ingatlan Lízing Zrt |
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatóság |
Verfahrensgang
Szekszárdi Közigazgatási (Beschluss vom 08.07.2016; ABl. EU 2016, 2Nr. C 364/9) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Art. 90 Abs. 1 ‐ Unmittelbare Wirkung ‐Steuerbemessungsgrundlage ‐ Verminderung bei Annullierung, Rückgängigmachung oder Auflösung ‐ Verminderung bei vollständiger oder teilweiser Nichtbezahlung ‐ Unterscheidung ‐ Wegen Nichtzahlung der Leasingraten gekündigter Leasingvertrag“
In der Rechtssache C-404/16
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Szegedi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Szeged, Ungarn) mit Entscheidung vom 8. Juli 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juli 2016, in dem Verfahren
Lombard Ingatlan Lízing Zrt.
gegen
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatóság
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Richters J.-C. Bonichot (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter A. Arabadjiev und E. Regan,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Lombard Ingatlan Lízing Zrt., vertreten durch Cs. Tordai, ügyvéd,
‐ der ungarischen Regierung, vertreten durch A. M. Pálfy und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Bottka, A. Sipos und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 90 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Lombard Ingatlan Lízing Zrt. (im Folgenden: Lombard) und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, im Folgenden: Rechtsbehelfsdirektion) wegen deren Weigerung, die Berichtigung von Rechnungen zuzulassen, die Lombard vorgenommen hat, um die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer zu mindern, nachdem sie mehrere Leasingverträge wegen Vertragsverletzung durch die Leasingnehmer gekündigt hatte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“
Rz. 4
Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„(1) Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.
(2) Die Mitgliedstaaten können im Falle der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung von Absatz 1 abweichen.“
Rz. 5
Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Er...