Entscheidungsstichwort (Thema)
Charta der Grundrechte. Verbraucherschutz. Rechtsangleichung. Vorlage zur Vorabentscheidung. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Von den nationalen Gerichten für nichtig erklärte allgemeine Bedingungen eines Hypothekendarlehensvertrags. Gerichtlicher Rechtsbehelf. Anerkenntnis vor Klagebeantwortung. Nationale Regelung, die von einem Verbraucher verlangt, dass er gegenüber dem betreffenden Gewerbetreibenden vorgerichtliche Schritte unternimmt, damit ihm die Kosten des gerichtlichen Verfahrens nicht auferlegt werden. Grundsatz der geordneten Rechtspflege. Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 6 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist im Licht des Effektivitätsgrundsatzes
dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung, nach der ein Verbraucher, der gegenüber einem Gewerbetreibenden, mit dem er einen eine missbräuchliche Klausel enthaltenden Vertrag geschlossen hat, keine vorgerichtlichen Schritte unternommen hat, die ihm in dem gerichtlichen Verfahren, das er gegen den Gewerbetreibenden zur Geltendmachung seiner Rechte aus der Richtlinie 93/13 angestrengt hat, entstandenen Kosten – obwohl die Missbräuchlichkeit dieser Klausel festgestellt wurde – selbst zu tragen hat, wenn der Gewerbetreibende die geltend gemachte Forderung vor der Klagebeantwortung anerkannt hat, nicht entgegensteht, sofern das zuständige nationale Gericht eine gefestigte nationale Rechtsprechung, nach der entsprechende Klauseln missbräuchlich sind, und die Haltung des Gewerbetreibenden berücksichtigen kann, um auf dessen Bösgläubigkeit zu schließen und ihm daher gegebenenfalls diese Kosten aufzuerlegen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-35/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Audiencia Provincial de Málaga (Provinzgericht Málaga, Spanien) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Januar 2022, in dem Verfahren
CAJASUR Banco SA
gegen
JO,
IM
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Vierten Kammer, der Richterin L. S. Rossi, des Richters S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin O. Spineanu-Matei,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der CAJASUR Banco SA, vertreten durch V. Rodríguez de Vera Casado,
- – der spanischen Regierung, vertreten durch A. Pérez-Zurita Gutiérrez, J. Ruiz Sánchez und J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. März 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der CAJASUR Banco SA einerseits sowie JO und IM andererseits wegen der Kosten, die im Rahmen eines von Letzteren angestrengten gerichtlichen Verfahrens wegen Nichtigerklärung einer vorgeblich missbräuchlichen Klausel der allgemeinen Bedingungen eines Hypothekendarlehensvertrags entstanden sind.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“
Rz. 4
Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“
Spanisches Recht
Rz. 5
Art. 1303 des Código Civil (Zivilgesetzbuch) bestimmt:
„Wird eine in einem Vertrag festgelegte Verpflichtung für nichtig erklärt, so haben die Vertragsparteien einander die Sachen, die Gegenstand des Vertrags waren, die daraus hervorgegangenen Früchte und den für diese Sachen gezahlten Preis zuzüglich Zinsen zurückzugewähren, außer in den in den folgenden Artikeln vorgesehenen Fällen.“
Rz. 6
Art. 395 der Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil (Gesetz 1/20...