Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Geheimhaltungspflicht der nationalen Behörden, die Kreditinstitute beaufsichtigen. Kreditinstitut, dessen Zwangsabwicklung angeordnet wurde. Weitergabe vertraulicher Informationen in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren
Normenkette
Richtlinie 2013/36/EU Art. 53 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG ist dahin auszulegen, dass er es den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nicht verwehrt, vertrauliche Informationen an eine Person weiterzugeben, die dies beantragt, um ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren zum Schutz von Vermögensinteressen, die infolge der Zwangsabwicklung eines Kreditinstituts verletzt worden sein sollen, einleiten zu können. Allerdings muss der Antrag auf Weitergabe Informationen betreffen, hinsichtlich deren der Antragsteller genaue und übereinstimmende Indizien vorlegt, die plausibel vermuten lassen, dass sie für die Belange eines zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens relevant sind, dessen Gegenstand vom Antragsteller konkret bezeichnet werden muss und außerhalb dessen die fraglichen Informationen nicht verwendet werden dürfen. Es ist Sache der zuständigen Behörden und Gerichte, das Interesse des Antragstellers, über die in Rede stehenden Informationen zu verfügen, gegen die Interessen an der Aufrechterhaltung der Vertraulichkeit der geheimhaltungspflichtigen Informationen abzuwägen, bevor jede einzelne der erbetenen vertraulichen Informationen weitergegeben wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 29. September 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 23. November 2016, in dem Verfahren
Enzo Buccioni
gegen
Banca d'Italia,
Beteiligte:
Banca Network Investimenti SpA, in Liquidation,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), der Richter E. Levits und A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. März 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Buccioni, vertreten durch N. Paoletti, A. Mari und G. Paoletti, avvocati,
- der Banca d'Italia, vertreten durch S. Ceci, M. Marcucci, und N. de Giorgi, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und L. Barroso, als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Di Bucci, J. Baquero Cruz, K.-P. Wojcik und A. Steiblyte als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Juni 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Enzo Buccioni und der Banca d'Italia (im Folgenden: BdI) über deren Entscheidung, ihm den Zugang zu bestimmten die Banca Network Investimenti SpA (im Folgenden: BNI) betreffenden Dokumenten zu verweigern.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2, 5, 6 und 15 der Richtlinie 2013/36 heißt es:
„(2) … Hauptziel und Gegenstand dieser Richtlinie ist die Koordinierung der nationalen Vorschriften über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, über die Modalitäten der Unternehmensführung und den Aufsichtsrahmen. …
…
(5) Diese Richtlinie sollte sowohl hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit als auch des freien Dienstleistungsverkehrs im Finanzdienstleistungssektor das wesentliche Instrument für die Verwirklichung des Binnenmarkts im Bereich der Kreditinstitute darstellen.
(6) Für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts bedarf es über die gesetzlichen Normen hinaus einer engen und regelmäßigen Zusammenarbeit sowie einer erheblich verstärkten Annäherung der Regelungs- und der Aufsichtspraxis der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten.
…
(15) Die Harmonisierung sollte so weit gehen, wie notwendig und ausreichend ist, um die gegenseitige Anerkennung der Zulassung und der Aufsichtssysteme sicherzustellen, damit ein...