Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Geistiges Eigentum. Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Abhilfemaßnahmen. Vernichtung von Waren. Begriff ‚Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums’. Waren, die mit einer Unionsmarke versehen sind
Normenkette
Richtlinie 2004/48/EG Art. 10
Beteiligte
Perfumesco.pl sp. z o.o. sp.k |
Procter & Gamble International Operations SA |
Tenor
Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums
ist dahin auszulegen, dass
er der Auslegung einer nationalen Bestimmung entgegensteht, wonach eine Schutzmaßnahme, die in der Vernichtung von Waren besteht, nicht bei Waren angewendet werden kann, die mit Zustimmung des Markeninhabers hergestellt und mit einer Unionsmarke versehen worden sind, aber ohne seine Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum in Verkehr gebracht worden sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) mit Entscheidung vom 29. Dezember 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juni 2021, in dem Verfahren
Perfumesco.pl sp. z o.o. sp.k.
gegen
Procter & Gamble International Operations SA,
Beteiligter:
Rzecznik Praw Obywatelskich,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters J.-C. Bonichot in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten, des Richters S. Rodin und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Perfumesco.pl sp. z o.o. sp.k., vertreten durch T. Snażyk, Radca prawny,
- der Procter & Gamble International Operations SA, vertreten durch D. Piróg und A. Rytel, Adwokaci,
- des Rzecznik Praw Obywatelskich, vertreten durch M. Taborowski,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann, S. L. Kalėda, P.-J. Loewenthal und J. Samnadda als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, berichtigt in ABl. 2004, L 195, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einerseits der Perfumesco.pl sp. z o.o. sp.k. und andererseits der Procter & Gamble International Operations SA (im Folgenden: Procter & Gamble) wegen einer Klage auf Vernichtung von Waren aufgrund einer angeblichen Verletzung von Rechten aus einer Unionsmarke.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Art. 46 („Sonstige Rechtsbehelfe”) des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums in Anhang 1 C des Übereinkommens von Marrakesch zur Errichtung der Welthandelsorganisation, das durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1) genehmigt wurde (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen), sieht vor:
„Um wirksam von Verletzungen abzuschrecken, sind die Gerichte befugt anzuordnen, dass über Waren, die nach ihren Feststellungen ein Recht verletzen, ohne Entschädigung irgendwelcher Art außerhalb der Vertriebswege so verfügt wird, dass dem Rechtsinhaber kein Schaden entstehen kann, oder dass sie vernichtet werden, sofern dies nicht bestehenden verfassungsrechtlichen Erfordernissen zuwiderlaufen würde. Die Gerichte sind ferner befugt anzuordnen, dass über Material und Werkzeuge, die vorwiegend zu Herstellung der rechtsverletzenden Waren verwendet wurden, ohne Entschädigung irgendwelcher Art außerhalb der Vertriebswege so verfügt wird, dass die Gefahr weiterer Rechtsverletzungen möglichst gering gehalten wird. Bei der Prüfung derartiger Anträge sind die Notwendigkeit eines angemessenen Verhältnisses zwischen der Schwere der Rechtsverletzung und den angeordneten Maßnahmen sowie die Interessen Dritter zu berücksichtigen. Bei nachgeahmten Markenwaren reicht das einfache Entfernen der rechtswidrig angebrachten Marke außer in Ausnahmefällen nicht aus, um eine Freigabe der Waren in die Vertriebswege zu gestatten.”
Unionsrecht
Richtlinie 2004/48
Rz. 4
In den Erwägungsgründen 3 bis 5, 7, 9, 10 und 17 der Richtlinie 2004/48 heißt es:
„(3) Ohne wirksame Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums werden … Innovation und kreatives Schaffen gebremst und Investitionen verhindert. Daher ist darauf zu achten, dass das materielle Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums, das heute weitgehend Teil...