Entscheidungsstichwort (Thema)

Richtlinie 2004/18/EG. Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d. Richtlinie 2004/17/EG. Art. 53 Abs. 3 und Art. 54 Abs. 4. Öffentliche Aufträge. Sektor für Postdienste. Kriterien für den Ausschluss vom Vergabeverfahren. Schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit. Schutz des öffentlichen Interesses. Erhaltung des lauteren Wettbewerbs

 

Beteiligte

Forposta (anciennement Praxis) und ABC Direct Contact

Forposta SA

ABC Direct Contact sp. z o.o

Poczta Polska SA

 

Tenor

1. Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine zum automatischen Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers von einem laufenden Vergabeverfahren führende schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit vorliegt, wenn der öffentliche Auftraggeber wegen von diesem Wirtschaftsteilnehmer zu verantwortender Umstände einen mit ihm geschlossenen Vertrag über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags aufgelöst oder gekündigt hat oder von dem Vertrag zurückgetreten ist, die Auflösung oder Kündigung des Vertrags oder der Rücktritt vom Vertrag innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren vor der Einleitung des laufenden Verfahrens erfolgt ist und der Wert des nicht ausgeführten Auftrags mindestens 5 % des Vertragswerts beträgt.

2. Die Grundsätze und Regeln des Vergaberechts der Union rechtfertigen nicht, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche zum Schutz des öffentlichen Interesses und der berechtigten Interessen der öffentlichen Auftraggeber sowie zur Erhaltung des lauteren Wettbewerbs unter den Wirtschaftsteilnehmern einen öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, einen Wirtschaftsteilnehmer in einer Fallgestaltung, wie sie in der Antwort auf die erste Vorlagefrage dargestellt wird, von einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags automatisch auszuschließen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Krajowa Izba Odwolawcza (Polen) mit Entscheidung vom 30. August 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 9. September 2011, in dem Verfahren

Forposta SA,

ABC Direct Contact sp. z o.o.

gegen

Poczta Polska SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), G. Arestis, J. Malenovský und T. von Danwitz,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Forposta SA und der ABC Direct Contact sp. z o.o., vertreten durch P. Gruszczynski und A. Starczewska-Galos, radcy prawni,
  • der Poczta Polska SA, vertreten durch P. Burzynski und H. Kornacki, radcy prawni,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar, B. Majczyna, M. Laszuk und E. Gromnicka als Bevollmächtigte,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann und A. Tokár als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) in Verbindung mit Art. 53 Abs. 3 und Art. 54 Abs. 4 der Richtlinie 2004/17/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (ABl. L 134, S. 1).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Forposta SA, vormals Praxis sp. z o.o., und der ABC Direct Contact sp. z o.o. gegen die Poczta Polska SA (im Folgenden: Poczta Polska) wegen einer Entscheidung von Poczta Polska, mit der sie die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens von einem von ihr eingeleiteten Vergabeverfahren ausgeschlossen hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Kapitel VII Abschnitt 2 („Eignungskriterien”) der Richtlinie 2004/18 enthält Art. 45 („Persönliche Lage des Bewerbers bzw. Bieters”). In dessen Abs. 1 werden die Kriterien genannt, die zwingend zu einem Ausschluss des Bewerbers oder Bieters in einem Vergabeverfahren führen, während in Abs. 2 die Kriterien genannt werden, die zu einem solchen Ausschluss führen können. Abs. 2 lautet:

„Von der Teilnahme am Vergabeverfahren kann jeder Wirtschaftsteilnehm...

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