Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Schadensersatzklage. Überlange Verfahrensdauer im Rahmen einer Rechtssache vor dem Gericht der Europäischen Union. Ersatz des Schadens, der der Rechtsmittelführerin entstanden sein soll. Materieller Schaden. Bankbürgschaftskosten. Kausalzusammenhang. Verzugszinsen. Immaterieller Schaden
Normenkette
AEUV Art. 340 Abs. 2
Beteiligte
Europäische Union / Kendrion |
Tenor
1. Nr. 1 des Tenors des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 1. Februar 2017, Kendrion/Europäische Union (T-479/14, EU:T:2017:48), wird aufgehoben.
2. Das von der Kendrion NV eingelegte Anschlussrechtsmittel wird zurückgewiesen.
3. Die von der Kendrion NV erhobene Schadensersatzklage wird abgewiesen, soweit sie auf Ersatz des in der Zahlung von Bankbürgschaftskosten über die angemessene Dauer des Gerichtsverfahrens in der Rechtssache, in der das Urteil vom 16. November 2011, Kendrion/Kommission (T-54/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:667), ergangen ist, hinaus bestehenden materiellen Schadens gerichtet ist.
4. Die Kendrion NV trägt außer ihren eigenen Kosten im vorliegenden Rechtsmittelverfahren die gesamten Kosten, die der Europäischen Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union, in diesem Verfahren entstanden sind, sowie ihre eigenen Kosten im Verfahren des ersten Rechtszugs.
5. Die Europäische Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union, trägt die ihr im Verfahren des ersten Rechtszugs entstandenen eigenen Kosten.
6. Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowohl im Verfahren des ersten Rechtszugs als auch im vorliegenden Rechtsmittelverfahren.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 24. März 2017,
Europäische Union, vertreten durch den Gerichtshof der Europäischen Union, dieser vertreten durch J. Inghelram und E. Beysen als Bevollmächtigte,
Rechtsmittelführerin,
andere Parteien des Verfahrens:
Kendrion NV mit Sitz in Zeist (Niederlande), Prozessbevollmächtigte: Y. de Vries, T. Ottervanger und E. Besselink, advocaten,
Klägerin im ersten Rechtszug,
Europäische Kommission, vertreten durch C. Urraca Caviedes, S. Noë und F. Erlbacher als Bevollmächtigte,
Streithelferin im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter J.-C. Bonichot, E. Regan, C. G. Fernlund und S. Rodin,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juli 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Europäische Union die teilweise Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 1. Februar 2017, Kendrion/Europäische Union (T-479/14, EU:T:2017:48, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht zum einen die Europäische Union verurteilt hat, der Kendrion NV eine Entschädigung in Höhe von 588 769,18 Euro für den materiellen Schaden und von 6 000 Euro für den immateriellen Schaden zu zahlen, der dieser Gesellschaft aufgrund der Nichteinhaltung der angemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens in der Rechtssache, in der das Urteil vom 16. November 2011, Kendrion/Kommission (T-54/06, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:667, im Folgenden: Rechtssache T-54/06), ergangen ist, entstanden ist, und zum anderen die Klage im Übrigen abgewiesen hat.
Rz. 2
Kendrion beantragt mit ihrem Anschlussrechtsmittel im Wesentlichen, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihr eine Entschädigung in Höhe von 2 308 463,98 Euro – hilfsweise in einer Höhe, die der Gerichtshof für angemessen hält – für den materiellen Schaden sowie eine Entschädigung in Höhe von 1 700 000 Euro – hilfsweise in einer vom Gerichtshof nach billigem Ermessen festzusetzenden Höhe – als Entschädigung für den immateriellen Schaden zuzusprechen.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Art. 6 Abs. 1 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sieht vor:
„Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. …”
Rz. 4
Art. 41 EMRK lautet:
„Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist.”
Unionsrecht
Charta
Rz. 5
Titel VI „Justizielle Rechte”) der Cha...