Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleiches Entgelt für Männer und Frauen. Abfindung bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Mittelbare Diskriminierung
Beteiligte
Silhouette International Schmied GmbH & Co. KG |
Tenor
1. Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der Arbeitnehmern, die wegen fehlender Kinderbetreuungseinrichtungen vorzeitig aus ihrem Arbeitsverhältnis ausscheiden, um ihre Kinder zu betreuen, eine geringere Abfindung zusteht, als sie Arbeitnehmern, die wegen eines wichtigen Grundes im Zusammenhang mit den Arbeitsbedingungen im Unternehmen oder mit dem Verhalten des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, für die gleiche tatsächliche Dauer ihrer Beschäftigung erhalten.
2. Der Umstand, daß in dem betreffenden Mitgliedstaat Kindergärten großteils von staatlichen Stellen oder mit deren finanzieller Unterstützung betrieben werden, ist ohne Bedeutung für die Antwort auf die erste Frage.
Tatbestand
In der Rechtssache C-249/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Landesgericht Linz (Österreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Gabriele Gruber
gegen
Silhouette International Schmied GmbH & Co. KG
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten P. J. C. Kapteyn (Berichterstatter), J.-P. Puissochet, G. Hirsch und P. Jann sowie der Richter J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann, J. L. Murray, D. A. O. Edward, H. Ragnemalm, L. Sevón, M. Wathelet und R. Schintgen,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Frau Gruber, vertreten durch Klaus Mayr, Sekretär der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, Linz,
- der Silhouette International Schmied GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Szep, Linz,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch Sektionschef Wolf Okresek, Bundeskanzleramt, als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Lindsey Nicoll, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte, im Beistand von Clive Lewis, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Marie Wolfcarius und Barbara Brandtner, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, im Beistand der Rechtsanwälte Stefan Köck und Martin Oder, Brüssel,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Frau Gruber, der Silhouette International Schmied GmbH & Co. KG und der Kommission in der Sitzung vom 8. Dezember 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Februar 1999,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1.
Das Landesgericht Linz hat mit Beschluß vom 24. Oktober 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juli 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit von Frau Gruber (Klägerin) gegen die Silhouette International Schmied GmbH & Co. KG (Beklagte).
Rechtlicher Rahmen
Österreichisches Recht
3.
§ 23 Absatz 1 des Angestelltengesetzes (AngG) sieht vor, daß dem Angestellten bei Auflösung eines Dienstverhältnisses, das ununterbrochen drei Jahre gedauert hat, eine Abfertigung gebührt.
4.
Nach § 23 Absatz 7 AngG besteht der Anspruch auf Abfertigung jedoch nicht, wenn der Angestellte kündigt, wenn er ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt oder wenn ihn ein Verschulden an der vorzeitigen Entlassung trifft.
5.
Die wichtigen Gründe, die einen Angestellten zum Austritt und zum Empfang der gesamten Abfertigung im Sinne von § 23 Absatz 1 AngG berechtigen, sind gesetzlich geregelt. Sie sind in § 26 AngG und in § 82a der Gewerbeordnung 1859 (im folgenden: GewO 1859), die für Arbeiter gilt, aufgeführt.
6.
§ 26 AngG lautet wie folgt:
„Als ein wichtiger Grund, der den Angestellten zum vorzeitigen Austritte berechtigt, ist insbesondere anzusehen:
- Wenn der Angestellte zur Fortsetzung seiner Dienstleistung unfähig wird oder diese ohne Schaden für seine Gesundheit oder Sittlichkeit nicht fortsetzen kann;
- wenn der Dienstgeber das dem Angestellten zukommende Entgelt ungebührlich schmälert oder vorenthält, ihn bei Naturalbezügen durch Gewährung ungesunder oder unzureichender Kost oder ungesunder Wohnung benachteiligt oder andere wesentliche Vertragsbestimmungen verletzt;
- wenn der Dienstgeber den ihm zum Schutze des Lebens, der Gesundheit oder der Sittlichkeit des Angestellten gesetzlich obliegenden Verpflichtungen nachzukommen verweigert;
- wenn der Dienstgeber sich Tätlichkeiten, Verlet...