Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Mehrwertsteuer. Vorsteuerabzug. Grundstück. Arbeitszimmer. Photovoltaikanlage. Zuordnungsentscheidung, die ein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnet. Mitteilung der Zuordnungsentscheidung. Ausschlussfrist für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug. Vermutung der Zuordnung zum Privatvermögen des Steuerpflichtigen bei fehlender Mitteilung der Zuordnungsentscheidung. Grundsatz der Neutralität. Grundsatz der Rechtssicherheit. Grundsätze der Äquivalenz und der Verhältnismäßigkeit
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 167, 168 Buchst. a
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Art. 168 Buchst. a in Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen nicht entgegensteht, die von einem nationalen Gericht so ausgelegt werden, dass die zuständige nationale Steuerverwaltung den Vorsteuerabzug in Bezug auf einen Gegenstand unter der Annahme, dass dieser dem Privatvermögen des Steuerpflichtigen zugewiesen wurde, verweigern darf, wenn ein Steuerpflichtiger ein Wahlrecht hat, ob er einen Gegenstand dem Vermögen seines Unternehmens zuordnet, und diese Steuerverwaltung nicht spätestens bis zum Ablauf der gesetzlichen Frist für die Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung in die Lage versetzt wurde, aufgrund einer ausdrücklichen Entscheidung oder hinreichender Anhaltspunkte eine solche Zuordnung des Gegenstands festzustellen, es sei denn, die besonderen rechtlichen Modalitäten für die Ausübung dieser Befugnis lassen erkennen, dass sie nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidungen vom 18. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Januar 2020, in den Verfahren
E
gegen
Finanzamt N (C-45/20)
und
Z
gegen
Finanzamt G (C-46/20)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal (Berichterstatterin) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer sowie der Richter J. Passer und N. Wahl,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von E, vertreten durch Rechtsanwalt H. Weiss,
- des Finanzamts N, vertreten durch B. Krimmel als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, S. Eisenberg und S. Heimerl als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaite und R. Pethke als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Mai 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 167 und 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 (ABl. 2010, L 10, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen E und dem Finanzamt N (Deutschland) – in der Rechtssache C-45/20 – und zwischen Z und dem Finanzamt G (Deutschland) – in der Rechtssache C-46/20. Gegenstand dieser Rechtsstreitigkeiten ist die Weigerung dieser Finanzämter, den von E und Z geltend gemachten Vorsteuerabzug anzuerkennen, da bis zum Ablauf der gesetzlichen Abgabefrist für die Umsatzsteuer-Jahreserklärung keine für die Finanzämter erkennbare Zuordnungsentscheidung abgegeben wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In Art. 2 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
a) Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt;
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt;
…”
Rz. 4
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”
Rz. 5
Art. 63 der Richtlinie lautet:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bew...