Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Dienstleistungsaufträge. Persönliche Lage des Bewerbers bzw. Bieters. Fakultative Ausschlussklauseln. Schwere berufliche Verfehlung. Nationale Regelung, die eine Einzelfallprüfung unter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorsieht. Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber. Gerichtliche Nachprüfung
Normenkette
EGRL 18/2004 Art. 45 Abs. 2; Richtlinie 89/665/EWG
Beteiligte
Connexxion Taxi Services BV |
Staat der Nederlanden (Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport) |
Rotterdamse Mobiliteit Centrale RMC BV |
Zorgvervoercentrale Nederland BV |
Tenor
1. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge, steht dem nicht entgegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende einen öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, unter Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob ein Bewerber um einen öffentlichen Auftrag, der eine schwere berufliche Verfehlung begangen hat, tatsächlich auszuschließen ist.
2. Die Richtlinie 2004/18, insbesondere deren Art. 2 und Anhang VII Teil A Nr. 17, ist angesichts des Gleichbehandlungsgrundsatzes und des daraus abgeleiteten Transparenzgebots dahin auszulegen, dass sie dem entgegensteht, dass ein öffentlicher Auftraggeber beschließt, einen öffentlichen Auftrag an einen Bieter zu vergeben, der eine schwere berufliche Verfehlung begangen hat, und zwar mit der Begründung, dass der Ausschluss dieses Bieters vom Vergabeverfahren gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde, obwohl nach den Ausschreibungsbedingungen für diesen öffentlichen Auftrag ein Bieter, der eine schwere berufliche Verfehlung begangen hat, zwingend und ungeachtet dessen auszuschließen war, ob diese Sanktion verhältnismäßig ist oder nicht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 27. März 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 15. April 2015, in dem Verfahren
Connexxion Taxi Services BV
gegen
Staat der Nederlanden (Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport),
Transvision BV,
Rotterdamse Mobiliteit Centrale RMC BV,
Zorgvervoercentrale Nederland BV
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und C. Vajda sowie der Richterin K. Jürimäe und des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Connexxion Taxi Services BV, vertreten durch J. van Nouhuys, advocaat,
- der Transvision BV, der Rotterdamse Mobiliteit Centrale RMC BV und der Zorgvervoercentrale Nederland BV, vertreten durch J. P. Heering und P. Heemskerk, advocaten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. M. Stergiou, K. Bulterman, A. M. de Ree und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone und F. Di Matteo, avvocati dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Tokár und S. Noë als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Juni 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114) sowie den Umfang der gerichtlichen Nachprüfung der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Connexxion Taxi Services BV (im Folgenden: Connexxion) auf der einen und dem Staat der Nederlanden – Ministerie van Volksgezondheid, Welzijn en Sport (Staat der Niederlande – Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport; im Folgenden: Ministerium) sowie einer aus der Transvision BV, der Rotterdamse Mobiliteit Centrale RMC BV und der Zorgvervoercentrale Nederland BV bestehenden Bietergemeinschaft (im Folgenden: Bietergemeinschaft) auf der anderen Seite wegen der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Ministeriums, einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag an diese Bietergemeinschaft zu vergeben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18 heißt es:
„Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten ...