Entscheidungsstichwort (Thema)
Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht. Arbeitsvertrag. Rechtswahl der Parteien. Zwingende Bestimmungen des mangels einer Rechtswahl anzuwendenden Rechts. Ermittlung dieses Rechts. Begriff des Staates, in dem der Arbeitnehmer ‚gewöhnlich seine Arbeit verrichtet’. Arbeitnehmer, der seine Arbeit in mehreren Vertragsstaaten verrichtet
Beteiligte
Tenor
Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom, ist dahin auszulegen, dass, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in mehreren Vertragsstaaten ausübt, der Staat, in dem er im Sinne dieser Bestimmung in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, derjenige ist, in dem oder von dem aus er unter Berücksichtigung sämtlicher Gesichtspunkte, die diese Tätigkeit kennzeichnen, seine Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber im Wesentlichen erfüllt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach dem Ersten Protokoll vom 19. Dezember 1988 betreffend die Auslegung des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, eingereicht von der Cour d'appel de Luxembourg (Luxemburg) mit Entscheidung vom 13. Januar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Januar 2010, in dem Verfahren
Heiko Koelzsch
gegen
Großherzogtum Luxemburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.-C. Bonichot, der Richter A. Borg Barthet, M. Ilešič, J. Malenovský und U. Lõhmus sowie der Richterinnen P. Lindh und C. Toader (Berichterstatterin),
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Koelzsch, vertreten durch P. Goergen, avocat,
- des Großherzogtums Luxemburg, vertreten durch G. Neu und A. Corre, avocats,
- der griechischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou und K. Georgiadis als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Dezember 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (ABl. L 266, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Rom), der sich auf Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse von Einzelpersonen bezieht.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen einer Haftungsklage des Herrn Koelzsch gegen das Großherzogtum Luxemburg, die er mit einem Verstoß der luxemburgischen Gerichte gegen die genannte Bestimmung des Übereinkommens von Rom begründet hat. Die Gerichte hatten über eine Schadensersatzklage zu entscheiden, die der Kläger des Ausgangsverfahrens gegen das in Luxemburg ansässige internationale Fuhrunternehmen Ove Ostergaard Luxembourg SA, vormals Gasa Spedition Luxembourg (im Folgenden: Gasa), mit dem er einen Arbeitsvertrag geschlossen hatte, erhoben hatte.
Rechtlicher Rahmen
Die Vorschriften über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen
Übereinkommen von Rom
Rz. 3
Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom bestimmt:
„Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil desselben treffen.”
Rz. 4
Art. 6 („Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse von Einzelpersonen”) des Übereinkommens von Rom sieht vor:
„(1) Ungeachtet des Artikels 3 darf in individuellen Arbeitsverträgen die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das nach diesem Artikel mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre.
(2) Abweichend von Artikel 4 sind mangels einer Rechtswahl nach Artikel 3 auf Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse anzuwenden:
- das Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt ist, oder
- das Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet,
es sei denn, dass sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen...