Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz der geografischen Angaben und der Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel. Änderung einer Produktspezifikation. Gurken aus dem Spreewald (Deutschland) ‚Spreewälder Gurken (g. g. A.)’. Nicht geringfügige Änderungen. Einspruchsverfahren. Einspruch gegen den Änderungsantrag. Beschwerde gegen die Entscheidung, mit der diesem Antrag stattgegeben wurde. Begriff ‚berechtigtes Interesse’
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 Art. 49 Abs. 3 Unterabs. 1, Abs. 4 Unterabs. 2, Art. 53 Abs. 2 Unterabs. 1
Beteiligte
Hengstenberg GmbH & Co. KG |
Tenor
Art. 49 Abs. 3 Unterabs. 1 und Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 2 in Verbindung mit Art. 53 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel sind dahin auszulegen, dass im Verfahren über Anträge auf nicht geringfügige Änderungen der Spezifikation für Erzeugnisse, die eine geschützte geografische Angabe tragen, jede aktuelle oder potenzielle, jedoch nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegende wirtschaftliche Betroffenheit einer natürlichen oder juristischen Person ein „berechtigtes Interesse” begründen kann, das erforderlich ist, um einen Einspruch gegen den Änderungsantrag oder ein Rechtsmittel gegen die positive Entscheidung über den gestellten Antrag einzulegen, sofern die Gefahr, dass die Interessen einer solchen Person beeinträchtigt werden, nicht äußerst unwahrscheinlich oder hypothetisch ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 19. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Februar 2020, in dem Verfahren
Hengstenberg GmbH & Co. KG
gegen
Spreewaldverein e. V.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter N. Piçarra, D. Šváby und S. Rodin (Berichterstatter) sowie der Richterin K. Jürimäe,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Spreewaldverein e. V., vertreten durch Rechtsanwalt D. Terheggen,
- der griechischen Regierung, vertreten durch E. Leftheriotou, A. Vasilopoulou und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch A.-L. Desjonquères und C. Mosser als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und C. Drexel als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis, B. Hofstötter und I. Naglis als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 Abs. 3 Unterabs. 1 und Art. 49 Abs. 4 Unterabs. 2 in Verbindung mit Art. 53 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1151/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. 2012, L 343, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Hengstenberg GmbH & Co. KG und dem Spreewaldverein e. V., einem Verband, in dem sämtliche Hersteller von „Spreewälder Gurken (g. g. A.)” (Gurken aus dem Spreewald, Deutschland), für die eine geschützte geografische Angabe eingetragen ist, zusammengeschlossen sind, über einen beim Deutschen Patent- und Markenamt (Deutschland) (im Folgenden: DPMA) gestellten Antrag auf Änderung der Spezifikation dieses Erzeugnisses.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung (EWG) Nr. 2081/92
Rz. 3
Art. 7 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 des Rates vom 14. Juli 1992 zum Schutz von geographischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. 1992, L 208, S. 1) lautete:
„Jede in ihrem berechtigten Interesse betroffene natürliche oder juristische Person kann durch eine ordnungsgemäß begründete Erklärung bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihren Hauptverwaltungssitz oder eine Niederlassung hat, Einspruch gegen die beabsichtigte Eintragung einlegen. Die zuständige Behörde trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit diese Bemerkungen oder dieser Einspruch fristgerecht berücksichtigt werden.”
Verordnung (EG) Nr. 510/2006
Rz. 4
In Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 510/2006 des Rates vom 20. März 2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel (ABl. 2006, L 93, S. 12) hieß es:
„Jede natürliche oder juristische Person mit einem berechtigten Interesse, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem, der die Eintragung beantragt hat, oder in einem Drittland niedergelassen oder ansässig ist, kann ebenfalls du...