Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Staatliche Beihilfen. Begriff ‚staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen’. Ausgleichsmaßnahmen für Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Elektrizitätssektor. Begriff ‚Beihilfen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen’ und ‚den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen’. Begriff ‚selektiver Vorteil’. Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Ausgleich für mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen einhergehende Kosten
Beteiligte
Tenor
1. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass Mittel zur Finanzierung eines Systems von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wie der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Elektrizitätssektor staatliche Mittel im Sinne dieser Bestimmung darstellen.
2. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass, wenn die Betreiber von Verteiler- und Übertragungsnetzen zur Finanzierung von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Elektrizitätssektor bestimmte Mittel erhalten, um die Verluste auszugleichen, die ihnen durch die Verpflichtung entstanden sind, Strom von bestimmten Stromerzeugern zu einem Festpreis abzunehmen und Schwankungen auszugleichen, diese Ausgleichsleistung einen Vorteil im Sinne dieser Bestimmung darstellt, der den Stromerzeugern gewährt wird.
3. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass Mittel wie die für gewisse Erbringer von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Elektrizitätssektor bestimmten unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dahin einzustufen sind, dass sie diesen Dienstleistungserbringern einen selektiven Vorteil im Sinne dieser Bestimmung gewähren und geeignet sind, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
4. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine staatliche Maßnahme wie die Regelung über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Elektrizitätssektor nicht als Ausgleich, der die Gegenleistung für Leistungen darstellt, die die begünstigten Unternehmen zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbringen, im Sinne des Urteils vom 24. Juli 2003, Altmark Trans und Regierungspräsidium Magdeburg (C-280/00, EU:C:2003:415), anzusehen ist, es sei denn, das vorlegende Gericht stellt fest, dass die eine oder die andere Dienstleistung von allgemeinem Interesse im Elektrizitätssektor die vier in den Rn. 88 bis 93 dieses Urteils niedergelegten Voraussetzungen tatsächlich erfüllt.
5. Art. 107 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine staatliche Maßnahme wie die Regelung über Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Elektrizitätssektor den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) mit Entscheidung vom 7. Dezember 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Dezember 2017, in dem Verfahren
AB „Achema”,
AB „Orlen Lietuva”,
AB „Lifosa”
gegen
Valstybinė kainų ir energetikos kontrolės komisija (VKEKK),
Beigeladene:
Lietuvos Respublikos energetikos ministerija,
UAB „Baltpool”,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter), der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter D. Šváby, S. Rodin und N. Piçarra,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen:
- von AB „Achema”, AB „Orlen Lietuva” und AB „Lifosa”, vertreten durch G. Balčiūnas und V. Radvila, advokatai, E. Righini und G. Catti De Gasperi, avvocati, sowie C. Cluzel, avocate,
- der UAB „Baltpool”, vertreten durch A. Smaliukas und E. Junčienė,
- der litauischen Regierung, vertreten durch R. Krasuckaitė, D. Stepanienė, R. Dzikovič und D. Kriaučiūnas als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Němečková, D. Recchia und A. Steiblytė als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Januar 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft in erster Linie die Auslegung von Art. 107 Abs. 1 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen AB „Achema”, AB „Orlen Lietuva” und AB „Lifosa” einerseits und der Valstybinė kainų ir energetikos kontrolės komisija (Staatliche Kommission für Preis- und Energiekontrolle, im Folgenden: staatliche Kommission) andererseits betreffend den Beschluss Nr. O3-442 der staatlichen Kommission vom 11. Oktober 2013 über die Festlegung der Mittel für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse und ihre Tarife für 2014 (im Folgenden: streitiger Beschluss).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 46 und 50 der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt ...