Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen. Begriffe ‚Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag’ und ‚Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen’. Regressklage eines Gesamtschuldners eines Kreditvertrags gegen einen anderen Gesamtschuldner. Bestimmung des Ortes, an dem die Verpflichtung aus dem Kreditvertrag erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 7 Nr. 1
Beteiligte
Tenor
1. Art. 7 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass Gegenstand einer von einem Gesamtschuldner eines Kreditvertrags gegen einen anderen Gesamtschuldner erhobenen Regressklage „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag” im Sinne dieser Vorschrift sind.
2. Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass ein Kreditvertrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, den zwei Gesamtschuldner mit einem Kreditinstitut schließen, als „Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen” im Sinne dieser Vorschrift zu qualifizieren ist.
3. Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, in dem ein Kreditinstitut zwei Gesamtschuldnern einen Kredit gewährt hat, der „Ort in einem Mitgliedstaat, an dem [die Dienstleistungen] nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen” im Sinne dieser Vorschrift, sofern nichts anderes vereinbart worden ist – auch für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit des Richters, der über die Regressklage eines Gesamtschuldners gegen den anderen zu entscheiden hat –, der Ort des Sitzes des Kreditinstituts ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 31. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Mai 2016, in dem Verfahren
Saale Kareda
gegen
Stefan Benkö
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Kareda, vertreten durch Rechtsanwalt C. Függer,
- von Herrn Benkö, vertreten durch Rechtsanwalt S. Alessandro,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. April 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Stefan Benkö und Frau Saale Kareda über die Erstattung von Raten aufgrund eines gemeinsamen Kreditvertrags, die Herr Benkö wegen Nichtleistung durch Frau Kareda gezahlt hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 1215/2012
Rz. 3
Nach ihrem vierten Erwägungsgrund sollen mit der Verordnung Nr. 1215/2012 im Interesse des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts „Bestimmungen [eingeführt werden], um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind”.
Rz. 4
In den Erwägungsgründen 15 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:
„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten,...