Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freier Dienstleistungsverkehr. Postdienste. Begriffe Universaldienst und Grundanforderungen. Allgemein- und Einzelgenehmigungen. Genehmigung zur Erbringung von Postdiensten zur Durchführung von individuell ausgehandelten Verträgen. Auferlegte Bedingungen
Normenkette
Richtlinie 97/67/EG Art. 9
Beteiligte
Tenor
1. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität in der durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine Postsendungsdienstleistung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht zum Universaldienst gehört, wenn sie nicht ständig flächendeckend postalische Dienstleistungen einer bestimmten Qualität zu tragbaren Preisen für alle Nutzer bietet. Die Erbringung von Postsendungsdienstleistungen, die nicht zum Universaldienst gehören, kann nur an die Erteilung einer Allgemeingenehmigung geknüpft werden.
2. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 97/67 in der durch die Richtlinie 2008/6 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Erbringung von Postdiensten, die nicht zum Universaldienst gehören, an Anforderungen wie die in Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 2 zweiter Gedankenstrich dieser Richtlinie in der geänderten Fassung geknüpft werden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) mit Entscheidung vom 10. Juli 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juli 2015, in dem Verfahren auf Antrag von
Ilves Jakelu Oy,
Beteiligter:
Liikenne- ja viestintäministeriö,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Ilves Jakelu Oy, vertreten durch H. Piekkala und I. Aalto-Setälä, asianajajat,
- der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der norwegischen Regierung, vertreten durch I. Thue und C. Rydning als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Costa de Oliveira und P. Aalto als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl. 1998, L 15, S. 14) in der durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 (ABl. 2008, L 52, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 97/67).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer Beschwerde der Ilves Jakelu Oy gegen den Bescheid des Valtioneuvosto (Staatsrat, Finnland) vom 30. Januar 2017, mit dem eine Postlizenz an die Erfüllung bestimmter Anforderungen geknüpft wird.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 97/67 lautet:
„Die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen über das Universaldienstangebot berühren nicht das Recht der Betreiber von Universaldiensten, Verträge mit den Kunden individuell auszuhandeln.”
Rz. 4
Art. 2 dieser Richtlinie sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:
…
13. ‚Universaldiensteanbieter’ einen öffentlichen oder privaten Postdiensteanbieter, der in einem Mitgliedstaat die Leistungen des Universalpostdienstes ganz oder teilweise erbringt und dessen Identität der Kommission gemäß Artikel 4 mitgeteilt wurde;
14. ‚Genehmigung’ jede Erlaubnis, in der für den Postsektor spezielle Rechte und Verpflichtungen festgelegt werden und in der Unternehmen gestattet wird, Postdienste zu erbringen und gegebenenfalls ihre Netze für die Bereitstellung derartiger Dienste zu errichten und/oder zu betreiben, und die in Form einer ‚Allgemeingenehmigung’ oder ‚Einzelgenehmigung’ entsprechend den nachstehenden Definitionen erteilt wird;
- ‚Allgemeingenehmigung’ ungeachtet einer Verpflichtung zu Registrierungs- oder Meldeverfahren jede Genehmigung, die aufgrund einer ‚Gruppengenehmigung’ oder aufgrund allgemeiner Rechtsvorschriften einen Postdiensteanbieter davon entbindet, vor der Ausübung der aus der Genehmigung herrührenden Rechte die ausdrückliche Zustimmung der nationalen Regulierungsbehörde einzuholen...