Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung. Nationale Regelung, die Anforderungen an das Hörvermögen von Strafvollzugsbeamten vorsieht. Nichterreichen der vorgeschriebenen Mindesthörschwellen. Absolute Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung

 

Normenkette

Richtlinie 2000/78/EG Art. 2 Abs. 2 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1, Art. 5

 

Beteiligte

Tartu Vangla

XX

Tartu Vangla

 

Tenor

Art. 2 Abs. 2 Buchst. a, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der es absolut unmöglich ist, einen Strafvollzugsbeamten weiter zu beschäftigen, dessen Hörvermögen nicht die in dieser Regelung festgelegten Mindesthörschwellen erreicht, und die nicht die Prüfung gestattet, ob dieser Beamte in der Lage ist, seine Aufgaben – gegebenenfalls nachdem angemessene Vorkehrungen im Sinne von Art. 5 getroffen wurden – zu erfüllen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Riigikohus (Staatsgerichtshof, Estland) mit Entscheidung vom 24. Oktober 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Oktober 2019, in dem Verfahren

XX

gegen

Tartu Vangla,

Beteiligte:

Justiitsminister,

Tervise- ja tööminister,

Õiguskantsler,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter A. Kumin, T. von Danwitz (Berichterstatter) und P. G. Xuereb sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von XX, vertreten durch K. Hanni, vandeadvokaat,
  • des Õiguskantsler, vertreten durch O. Koppel,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch E.-M. Mamouna, A. Magrippi und A. Dimitrakopoulou als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und E. Randvere als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. November 2020

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen XX und der Tartu Vangla (Justizvollzugsanstalt Tartu, Estland) wegen der Entscheidung von deren Direktor, XX zu entlassen, weil dieser die Anforderungen an das Hörvermögen von Strafvollzugsbeamten nicht erfüllte.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 16, 18, 20, 21 und 23 der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„(16) Maßnahmen, die darauf abstellen, den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz Rechnung zu tragen, spielen eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Diskriminierungen wegen einer Behinderung.

(18) Insbesondere darf mit dieser Richtlinie den Streitkräften sowie der Polizei, den Haftanstalten oder den Notfalldiensten unter Berücksichtigung des rechtmäßigen Ziels, die Einsatzbereitschaft dieser Dienste zu wahren, nicht zur Auflage gemacht werden, Personen einzustellen oder weiter zu beschäftigen, die nicht den jeweiligen Anforderungen entsprechen, um sämtliche Aufgaben zu erfüllen, die ihnen übertragen werden können.

(20) Es sollten geeignete Maßnahmen vorgesehen werden, d. h. wirksame und praktikable Maßnahmen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten, z. B. durch eine entsprechende Gestaltung der Räumlichkeiten oder eine Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots an Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen.

(21) Bei der Prüfung der Frage, ob diese Maßnahmen zu übermäßigen Belastungen führen, sollten insbesondere der mit ihnen verbundene finanzielle und sonstige Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz der Organisation oder des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten berücksichtigt werden.

(23) Unter sehr begrenzten Bedingungen kann eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt sein, wenn ein Merkmal, das mit der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, dem Alter oder der sexuellen Ausrichtung zusammenhängt, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Diese Bedingungen sollten in die Informationen aufgenommen werden, die die Mitgliedstaaten der Kommission übermitteln.”

Rz. 4

Art. 1 („Zweck”) dieser Richtlinie lautet:

„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Rel...

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