Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Europäisches Mahnverfahren. 30-Tage-Frist für die Einlegung eines Einspruchs gegen den Europäischen Zahlungsbefehl. Überprüfungsverfahren. Anwendung des nationalen Rechts auf Verfahrensfragen, die in dieser Verordnung nicht ausdrücklich geregelt sind. Covid-19-Pandemie. Nationale Regelung, durch die die Verfahrensfristen in Zivilsachen für einige Wochen unterbrochen wurden

 

Normenkette

Verordnung Nr. 1896/2006 – Art. 16 Abs. 2, Art. 20, 26

 

Beteiligte

Uniqa Versicherungen

Uniqa Versicherungen AG

VU

 

Tenor

Die Art. 16, 20 und 26 der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens in der durch die Verordnung (EU) 2015/2421 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

sie der Anwendung einer nationalen Regelung, die anlässlich des Ausbruchs der Covid-19-Pandemie erlassen wurde und durch die die Verfahrensfristen in Zivilsachen für etwa fünf Wochen unterbrochen wurden, auf die dem Antragsgegner in Art. 16 Abs. 2 dieser Verordnung eingeräumte Frist von 30 Tagen zur Einlegung eines Einspruchs gegen einen Europäischen Zahlungsbefehl nicht entgegenstehen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 27. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Januar 2021, in dem Verfahren

Uniqa Versicherungen AG

gegen

VU

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe (Berichterstatterin), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Dritten Kammer sowie der Richter N. Jääskinen, M. Safjan und N. Piçarra,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Uniqa Versicherungen AG, vertreten durch Rechtsanwalt S. Holter und Prozessbevollmächtigten S. Pechlof,
  • VU, vertreten durch Rechtsanwalt M. Brandt,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, E. Samoilova, U. Scheuer und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch S. Charitaki, V. Karra und A. Magrippi als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 31. März 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 20 und 26 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. 2006, L 399, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2015/2421 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 (ABl. 2015, L 341, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1896/2006).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Uniqa Versicherungen AG, einer österreichischen Versicherungsgesellschaft, und VU, einem deutschen Staatsangehörigen, über die Vollstreckung eines ihm zugestellten Europäischen Zahlungsbefehls.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 8, 9, 18 und 24 der Verordnung Nr. 1896/2006 heißt es:

„(8) Der daraus resultierende erschwerte Zugang zu einer effizienten Rechtsprechung bei grenzüberschreitenden Rechtssachen und die Verfälschung des Wettbewerbs im Binnenmarkt aufgrund des unterschiedlichen Funktionierens der verfahrensrechtlichen Instrumente, die den Gläubigern in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, machen eine Gemeinschaftsregelung erforderlich, die für Gläubiger und Schuldner in der gesamten Europäischen Union gleiche Bedingungen gewährleistet.

(9) Diese Verordnung hat Folgendes zum Ziel: die Vereinfachung und Beschleunigung grenzüberschreitender Verfahren im Zusammenhang mit unbestrittenen Geldforderungen und die Verringerung der Verfahrenskosten durch Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens sowie die Ermöglichung des freien Verkehrs Europäischer Zahlungsbefehle in den Mitgliedstaaten durch Festlegung von Mindestvorschriften, bei deren Einhaltung die Zwischenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat, die bisher für die Anerkennung und Vollstreckung erforderlich waren, entfallen.

(18) Der Europäische Zahlungsbefehl sollte den Antragsgegner darüber aufklären, dass er entweder den zuerkannten Betrag an den Antragsteller zu zahlen hat oder, wenn er die Forderung bestreiten will, innerhalb von 30 Tagen eine Einspruchsschrift versenden muss. Neben der vollen Aufklärung über die vom Antragsteller geltend gemachte Forderung sollte der Antragsgegner auf die rechtliche Bedeutung des Europäischen Zahlungsbefehls und die Folgen eines Verzichts auf Ei...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?