Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinschaftlicher Sortenschutz. Verordnung (EG) Nr. 2100/94. Aufbereitung. Auskunftspflicht des Aufbereiters gegenüber dem Sortenschutzinhaber. Vorgaben hinsichtlich Zeitpunkt und Inhalt des Auskunftsverlangens
Beteiligte
Raiffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main |
Raiffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main e.G |
Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH |
Tenor
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 9 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom 3. Dezember 1998 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die Auskunftspflicht eines Aufbereiters bezüglich geschützter Sorten besteht, wenn sich das auf ein bestimmtes Wirtschaftsjahr beziehende Auskunftsersuchen vor dem Ablauf dieses Wirtschaftsjahrs gestellt wurde. Jedoch kann eine Auskunftspflicht auch hinsichtlich der Informationen bestehen, die sich auf die bis zu drei Wirtschaftsjahre beziehen, die dem laufenden Wirtschaftsjahr vorangehen, sofern der Sortenschutzinhaber im ersten der von dem Auskunftsersuchen betroffenen vorangehenden Wirtschaftsjahre erstmals ein Ersuchen zu denselben Sorten an denselben Aufbereiter gerichtet hat.
2. Art. 14 Abs. 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz in Verbindung mit Art. 9 der Verordnung Nr. 1768/95 in der durch die Verordnung Nr. 2605/98 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das Auskunftsersuchen des Sortenschutzinhabers an einen Aufbereiter nicht die Nachweise für die darin geltend gemachten Anhaltspunkte enthalten muss. Ferner kann die Tatsache, dass ein Landwirt eine geschützte Sorte im Vertragsanbau nachbaut, für sich allein keinen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass ein Aufbereiter das durch Anbau von Vermehrungsgut dieser Sorte gewonnene Ernteerzeugnis zu Nachbauzwecken aufbereitet hat oder aufzubereiten beabsichtigt. Jedoch kann diese Tatsache je nach den sonstigen Umständen des Falles den Schluss zulassen, dass ein solcher Anhaltspunkt vorliegt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. Januar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 2011, in dem Verfahren
Raiffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main e.G.
gegen
Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Richters A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter A. Borg Barthet, E. Levits (Berichterstatter) und J.-J. Kasel sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. März 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Raiffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main e.G., vertreten durch die Rechtsanwälte C. Bittner und F. Eckard,
- der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte K. von Gierke und J. Forkel,
- der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Schima, M. Vollkommer, F. Wilman und I. Galindo Martin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Juni 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 14 Abs. 3 sechster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. L 227, S. 1) und von Art. 9 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1768/95 der Kommission vom 24. Juli 1995 über die Ausnahmeregelung gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 2100/94 (ABl. L 173, S. 14) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2605/98 der Kommission vom 3. Dezember 1998 (ABl. L 328, S. 6) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1768/95).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Raffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main e.G. (im Folgenden: RWZ) und der Saatgut-Treuhandverwaltungs GmbH (im Folgenden: STV) über das von dieser an RWZ gerichtete Auskunftsverlangen betreffend die Wirtschaftsjahre für zertifiziertes Saatgut 2005/06 und 2006/07.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 2100/94
Rz. 3
Nach Art. 11 der Verordnung Nr. 2100/94 steht das Recht auf den gemeinschaftlichen Sortenschutz dem „Züchter” zu, also der „Person …, die die Sorte hervorgebracht oder entdeckt und entwickelt hat bzw. ihrem Rechtsnachfolger”.
4 Art. 13 („Rechte des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes und verbotene Handlungen”) dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Der gemeinschaftliche Sortenschutz hat die Wirkung, dass allein der...