Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern. Irreführende Geschäftspraxis. Schneeballsystem. Von neuen Teilnehmern gezahlte Beiträge und von bereits vorhandenen Teilnehmern bezogene Vergütungen. Mittelbarer finanzieller Zusammenhang
Normenkette
Richtlinie 2005/29/EG
Beteiligte
Loterie Nationale – Nationale Loterij NV van publiek recht |
Tenor
Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass nach dieser Bestimmung eine Geschäftspraxis auch dann als „Schneeballsystem” eingestuft werden kann, wenn zwischen den Beiträgen, die neue Mitglieder an das System zahlen, und den Vergütungen, die die bereits vorhandenen Teilnehmer beziehen, nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van beroep te Antwerpen (Berufungsgericht Antwerpen, Belgien) mit Entscheidung vom 3. Dezember 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2015, in dem Verfahren
Loterie Nationale – Nationale Loterij NV van publiek recht
gegen
Paul Adriaensen,
Werner De Kesel,
The Right Frequency VZW
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und A. Arabadjiev,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Loterie Nationale – Nationale Loterij NV van publiek recht, vertreten durch J. Muyldermans, P. Maeyaert und P. Vlaemminck, advocaten,
- von Herrn Adriaensen, Herrn De Kesel und The Right Frequency VZW, vertreten durch R. Peeters, advocaat,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und D. Roussanov als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Loterie Nationale – Nationale Loterij NV van publiek recht (im Folgenden: Loterie Nationale) auf der einen und Herrn Adriaensen, Herrn De Kesel und The Right Frequency VZW auf der anderen Seite über die Einrichtung eines Systems zur gemeinsamen Teilnahme an öffentlichen Lotterien in Belgien namens „Lucky 4 All” (im Folgenden: System „Lucky 4 All”) und die Werbung für dieses System.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Im achten Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 heißt es:
„Diese Richtlinie schützt unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern. …”
Rz. 4
Der 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2005/29 lautet:
„Es ist wünschenswert, dass diejenigen Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen unlauter sind, identifiziert werden, um größere Rechtssicherheit zu schaffen. Anhang I enthält daher eine umfassende Liste solcher Praktiken. Hierbei handelt es sich um die einzigen Geschäftspraktiken, die ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Artikel 5 bis 9 als unlauter gelten können. Die Liste kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.”
Rz. 5
Art. 1 der Richtlinie 2005/29 bestimmt:
„Zweck dieser Richtlinie ist es, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen.”
Rz. 6
Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
d) ‚Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern’ (nachstehend auch ‚Geschäftspraktiken’ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerziell...