Entscheidungsstichwort (Thema)
Unlautere Geschäftspraktiken. Schneeballsystem. Relevanz des etwaigen Beitrags, den ein Verbraucher leistet, um eine Vergütung zu erhalten. Auslegung des Begriffs Beitrag
Normenkette
Richtlinie 2005/29/EG
Beteiligte
Valstybinė vartotojų teisių apsaugos tarnyba |
Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos |
Tenor
Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass ein Schneeballsystem nur dann unter allen Umständen eine unlautere Geschäftspraxis darstellt, wenn ein solches System vom Verbraucher einen finanziellen Beitrag gleich welcher Höhe im Austausch für die Möglichkeit verlangt, eine Vergütung zu erzielen, die hauptsächlich durch die Einführung neuer Verbraucher in ein solches System und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten zu erzielen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauen) mit Entscheidung vom 29. Oktober 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 14. November 2012, in dem Verfahren
„4finance” UAB
gegen
Valstybinė vartotojų teisių apsaugos tarnyba,
Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos finansų ministerijos
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und A. Arabadjiev,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen:
- der „4finance” UAB, vertreten durch G. Velička, Generaldirektor,
- der litauischen Regierung, vertreten durch R. Janeckaitė als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und S. Šindelková als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Steiblytė und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 19. Dezember 2013,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Anhangs I Nr. 14 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149, S. 22, Berichtigung der deutschen Fassung, ABl. 2009, L 253, S. 18).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der „4finance” UAB (im Folgenden: 4finance) gegen das Valstybinė vartotojų teisių apsaugos tarnyba (Nationales Amt für Verbraucherschutz) und das Valstybinė mokesčių inspekcija prie Lietuvos Respublikos Finansų ministerijos (Nationale Steuerinspektion, dem Ministerium der Finanzen angeschlossen) wegen Bußgelds, das gegen diese Gesellschaft wegen Verstoßes gegen das litauische Gesetz über das Verbot unlauterer Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern verhängt worden war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 8, 9, 11 und 17 der Richtlinie 2005/29 heißt es:
„(8) Diese Richtlinie schützt unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern. …
(9) Diese Richtlinie berührt nicht individuelle Klagen von Personen, die durch eine unlautere Geschäftspraxis geschädigt wurden. … Für Finanzdienstleistungen und Immobilien sind aufgrund ihrer Komplexität und der ihnen inhärenten ernsten Risiken detaillierte Anforderungen erforderlich, einschließlich positiver Verpflichtungen für die betreffenden Gewerbetreibenden. Deshalb lässt diese Richtlinie im Bereich der Finanzdienstleistungen und Immobilien das Recht der Mitgliedstaaten unberührt, zum Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher über ihre Bestimmungen hinauszugehen. …
…
(11) Das hohe Maß an Konvergenz, das die Angleichung der nationalen Rechtsvorschriften durch diese Richtlinie hervorbringt, schafft ein hohes allgemeines Verbraucherschutzniveau. Diese Richtlinie stellt ein einziges generelles Verbot jener unlauteren Ge...