Entscheidungsstichwort (Thema)
Brüsseler Übereinkommen. Entscheidung über die Zulassung der Vollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat erlassenen Entscheidung. Unterbliebene oder mangelhafte Zustellung. Kenntnisnahme. Klagefrist
Beteiligte
Tenor
Artikel 36 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch die Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland und vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er eine ordnungsgemäße Zustellung der Entscheidung über die Zulassung der Zwangsvollstreckung unter Beachtung der Verfahrensvorschriften des Vertragsstaats verlangt, in dem die Vollstreckung beantragt wird; im Fall einer unterbliebenen oder mangelhaften Zustellung der Entscheidung über die Zulassung der Zwangsvollstreckung reicht daher die bloße Tatsache, dass der Vollstreckungsschuldner von dieser Entscheidung Kenntnis erlangt hat, nicht aus, um die in dem genannten Artikel festgelegte Frist in Lauf zu setzen.
Tatbestand
In der Rechtssache
wegen eines Vorabentscheidungsersuchens nach dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof, eingereicht von der Corte d'appello Cagliari (Italien) mit Entscheidung vom 12. November 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Januar 2005, in dem Verfahren
Gaetano Verdoliva
gegen
J. M. Van der Hoeven BV,
Banco di Sardegna,
San Paolo IMI SpA,
Beteiligter:
Pubblico Ministero,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters R. Schintgen, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis und J. Klučka (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Verdoliva, vertreten durch M. Comella und U. Ugas, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von A. Cingolo, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. de March und A.-M. Rouchaud-Joët als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 24. November 2005
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 36 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch die Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und – geänderter Text – S. 77), vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland (ABl. L 388, S. 1) und vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen oder EuGVÜ).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits von G. Verdoliva gegen J. M. Van der Hoeven BV (im Folgenden: Van der Hoeven), die Banco di Sardegna und die San Paolo IMI SpA, vormals Instituto San Paolo di Torino, wegen der Vollstreckung eines Urteils der Arrondissementsrechtbank Den Haag (Niederlande), mit dem Herr Verdoliva zur Zahlung von 365 000 NLG an Van der Hoeven verurteilt wurde, in Italien.
Rechtlicher Rahmen
Das Brüsseler Übereinkommen
3 Artikel 26 Absatz 1 EuGVÜ bestimmt, dass die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Vertragsstaaten anerkannt werden, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.
4 Nach Artikel 27 Nummer 2 EuGVÜ werden diese Entscheidungen jedoch nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte.
5 Artikel 31 Absatz 1 EuGVÜ bestimmt, dass die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, in einem anderen Vertragsstaat vollstreckt werden, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind.
6 Artikel 34 EuGVÜ lautet:
„Das mit dem Antrag befasste Gericht erlässt seine Entscheidung unverzüglich, ohne dass der Schuldner in diesem Abschnitt des Verfahrens Gelegenheit erhält, eine Erklärung abzugeben.
Der Antrag kann ...