Entscheidungsstichwort (Thema)
Assoziation EWG-Türkei. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates. Volljähriges Kind eines türkischen Arbeitnehmers, das im Aufnahmemitgliedstaat eine Berufsausbildung abgeschlossen hat. Strafrechtliche Verurteilung. Auswirkung auf das Aufenthaltsrecht
Beteiligte
Tenor
Das volljährige Kind eines in einem Mitgliedstaat seit mehr als drei Jahren ordnungsgemäß beschäftigten türkischen Wanderarbeitnehmers, das in diesem Staat eine Berufsausbildung abgeschlossen hat und die Voraussetzungen des Artikels 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation erfüllt, der von dem durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrat erlassen wurde, verliert das aus dem Recht nach dieser Bestimmung, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, abgeleitete Aufenthaltsrecht nur in den Fällen des Artikels 14 Absatz 1 dieses Beschlusses oder dann, wenn es das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlässt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 3. August 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Dezember 2004, in dem Verfahren
Ergün Torun
gegen
Stadt Augsburg,
Beteiligte:
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,
Landesanwaltschaft Bayern,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters R. Schintgen (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis und J. Klučka,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des E. Torun, vertreten durch Rechtsanwalt K. Lehner,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte,
- der slowakischen Regierung, vertreten durch R. Procházka als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Rozet und B. Martenczuk als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 7 Absatz 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem türkischen Staatsangehörigen Torun und der Stadt Augsburg wegen eines Verfahrens zur Ausweisung aus Deutschland.
Rechtlicher Rahmen
3 Artikel 6 Absätze 1 und 2 des Beschlusses Nr. 1/80 lautet:
„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.”
4 Artikel 7 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:
„Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, ...