Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Übernahme der Befriedigung der Arbeitsentgeltansprüche von Arbeitnehmern durch Garantieeinrichtungen. Begrenzung der Zahlungspflicht der Garantieeinrichtungen auf Arbeitsentgeltansprüche aus dem Zeitraum von drei Monaten vor oder nach dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Anwendung einer Verjährungsfrist. Rückforderung von Beträgen, die von der Garantieeinrichtung rechtsgrundlos gezahlt wurden. Voraussetzungen
Normenkette
Richtlinie 2008/94/EG
Beteiligte
Agenţia Judeţeană de Ocupare a Forţei de Muncă Ilfov |
Agenţia Municipală pentru Ocuparea Forţei de Muncă Bucureşti |
Agenţia Judeţeană de Ocupare a Forţei de Muncă Ilfov |
Tenor
1. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die vorsieht, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung des Zeitraums, für den eine Garantieeinrichtung nicht erfüllte Arbeitsentgeltansprüche von Arbeitnehmern zu befriedigen hat, der Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers dieser Arbeitnehmer ist.
2. Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2008/94
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die die Befriedigung nicht erfüllter Arbeitsentgeltansprüche von Arbeitnehmern durch eine Garantieeinrichtung auf einen Zeitraum von drei Monaten begrenzt, der innerhalb eines Bezugszeitraums liegt, der die drei Monate unmittelbar vor und die drei Monate unmittelbar nach dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers dieser Arbeitnehmer umfasst.
3. Art. 12 Buchst. a der Richtlinie 2008/94
ist dahin auszulegen, dass
von einem Mitgliedstaat erlassene Vorschriften, die vorsehen, dass eine Garantieeinrichtung von einem Arbeitnehmer Beträge zurückfordert, die ihm nach Ablauf der allgemeinen Verjährungsfrist wegen nicht erfüllter Arbeitsentgeltansprüche gezahlt wurden, keine zur Vermeidung von Missbrauch notwendigen Maßnahmen im Sinne dieser Bestimmung darstellen können, wenn kein dem betreffenden Arbeitnehmer zuzurechnendes Handeln oder Unterlassen vorliegt.
4. Die Richtlinie 2008/94 ist im Licht der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität
dahin auszulegen, dass
sie dem entgegensteht, dass eine steuerrechtliche Regelung eines Mitgliedstaats angewandt wird, um von Arbeitnehmern Beträge zuzüglich Zinsen und Strafzahlungen wegen Säumnis zurückzufordern, die von einer Garantieeinrichtung wegen nicht erfüllter Arbeitsentgeltansprüche von Arbeitnehmern für die in der ersten und der zweiten Frage genannten Zeiträume, die nicht innerhalb des von der nationalen Regelung dieses Staats vorgesehenen Bezugszeitraums liegen, rechtsgrundlos gezahlt werden oder nach Ablauf der allgemeinen Verjährungsfrist geltend gemacht werden, falls
- die von dieser nationalen Regelung vorgesehenen Voraussetzungen der Rückforderung für die Arbeitnehmer weniger günstig sind als die Voraussetzungen der Rückforderung von Leistungen, die ihnen nach den nationalen Bestimmungen im Bereich des Rechts der sozialen Sicherheit zustehen, oder
- die Anwendung der in Rede stehenden nationalen Regelung es den betreffenden Arbeitnehmern unmöglich macht oder übermäßig erschwert, von der Garantieeinrichtung die Zahlung von Beträgen zu verlangen, die ihnen wegen nicht erfüllter Arbeitsentgeltansprüche zustehen, oder die Zahlung der von dieser nationalen Regelung vorgesehenen Zinsen oder Strafzahlungen wegen Säumnis den Schutz, der den Arbeitnehmern sowohl durch die Richtlinie 2008/94 als auch durch die nationalen Bestimmungen zu deren Umsetzung gewährt wird, insbesondere dadurch beeinträchtigt, dass das Mindestniveau des gemäß Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Schutzes angetastet wird.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Bucureşti (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien) mit Entscheidungen vom 16. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 24. August 2021, in den Verfahren
IG
gegen
Agenţia Judeţeană de Ocupare a Forţei de Muncă Ilfov (C-524/21)
und
Agenţia Municipală pentru Ocuparea Forţei de Muncă Bucureşti
gegen
IM (C-525/21)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer,
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und A. Rotăreanu als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommissi...