Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Beschränkung. Berufsfußballspieler. Verpflichtung zum Abschluss des ersten Vertrags als Berufsspieler mit dem ausbildenden Verein. Verurteilung des Spielers zu Schadensersatz wegen Verstoßes gegen diese Verpflichtung. Rechtfertigung. Zweck, die Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsspielern zu fördern
Normenkette
EG Art. 39
Beteiligte
Tenor
Art. 45 AEUV steht einer Regelung nicht entgegen, die für den Fall, dass ein Nachwuchsspieler nach Abschluss seiner Ausbildung einen Vertrag als Berufsspieler mit einem Verein eines anderen Mitgliedstaats abschließt, zum Zweck der Förderung der Anwerbung und Ausbildung von Nachwuchsspielern die Entschädigung des ausbildenden Vereins gewährleistet, vorausgesetzt, dass diese Regelung geeignet ist, die Verwirklichung dieses Zwecks zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zu seiner Erreichung erforderlich ist.
Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, wonach ein „Espoir”-Spieler, der nach Abschluss seiner Ausbildungszeit einen Vertrag als Berufsspieler mit einem Verein eines anderen Mitgliedstaats abschließt, sich einer Verurteilung zur Schadensersatzleistung aussetzt, deren Höhe von den tatsächlichen Ausbildungskosten unabhängig ist, ist nicht erforderlich, um zu gewährleisten, dass dieser Zweck verwirklicht wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour de cassation (Frankreich) mit Entscheidung vom 9. Juli 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Juli 2008, in dem Verfahren
Olympique Lyonnais SASP
gegen
Olivier Bernard,
Newcastle UFC
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Kammerpräsidenten K. Lenaerts und der Kammerpräsidentin P. Lindh sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, P. Kūris, E. Juhász, A. Borg Barthet und M. Ilešič (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Mai 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Olympique Lyonnais SASP, vertreten durch J.-J. Gatineau, avocat,
- des Newcastle UFC, vertreten durch die SCP Celice, Blancpain et Soltner, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und A. Czubinski als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte im Beistand von D. del Gaizo, avvocato dello Stato,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. M. Wissels und M. de Grave als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ossowski als Bevollmächtigten im Beistand von D. J. Rhee, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Van Hoof und G. Rozet als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Juli 2009
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 39 EG.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Olympique Lyonnais SASP (im Folgenden: Olympique Lyonnais) einerseits und Herrn Bernard, einem Berufsfußballspieler, sowie dem Newcastle UFC, einem Verein nach englischem Recht, andererseits wegen Zahlung von Schadensersatz durch Letztere, weil Herr Bernard einseitig seine Verpflichtungen aus Art. 23 der Berufsfußball-Charta für die Saison 1997/98 der Fédération française de Football (französischer Fußballverband) (im Folgenden: Charta) verletzt haben soll.
Rechtlicher Rahmen
Nationales Recht
Rz. 3
Zu dem für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt war die Beschäftigung von Fußballspielern in Frankreich durch die Charta geregelt, die den Charakter eines Tarifvertrags hatte. Ihr Titel III Kapitel IV betraf die Kategorie der „Espoir”-Spieler, d. h. Spieler im Alter von 16 bis 22 Jahren, die im Rahmen eines befristeten Vertrags als Auszubildende bei einem professionellen Verein beschäftigt waren.
Rz. 4
Nach der Charta war der „Espoir”-Spieler verpflichtet, wenn der ausbildende Verein dies von ihm verlangte, nach Abschluss seiner Ausbildung seinen ersten Vertrag als Berufsspieler mit diesem Verein abzuschließen. Dazu sah Art. 23 der Charta in der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung vor:
„…
Bei regulärem Ablauf des Vertrags [als ‚Espoir’-Spieler] ist der Verein berechtigt, von der Gegenpartei den Abschluss eines Vertrags als Berufsspieler zu verlangen.
…”
Rz. 5
Die Charta enthielt keine Regelung über eine Entschädigung des ausbildenden Vereins für den Fall, dass ein Spieler am Ende der Ausbildung den Abschluss eines Vertrags als Berufsspieler mit diesem Verein verweigerte.
Rz. 6
In solchen Fällen hatte der ausbildende Verein jedoch die Möglichkeit, gegen den „Espoir”-Spieler auf der Grundlage von Art. L. 122-3-8 des französischen Code du travail (Arbeitsgesetzbuch) Klage wegen Verletzung der aus Art. 23 der Charta f...