Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungen bei Alter. Gewöhnlicher Aufenthaltsort in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten. Bezug einer Hinterbliebenenrente in dem einen und einer Altersrente in dem anderen Mitgliedstaat. Entzug einer dieser beiden Leistungen. Einziehung angeblich rechtsgrundlos empfangener Leistungen

 

Normenkette

AEUV Art. 45; Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 Art. 10

 

Beteiligte

Wencel

Janina Wencel

Zakład Ubezpieczeń Społecznych w Białymstoku

 

Tenor

Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten und zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung eine Person nicht gleichzeitig zwei gewöhnliche Aufenthaltsorte in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten haben kann.

Der zuständige Träger eines Mitgliedstaats kann nach der Verordnung Nr. 1408/71, insbesondere nach deren Art. 12 Abs. 2 und Art. 46a, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens dem Empfänger einer Altersrente nicht deshalb rückwirkend den Anspruch auf diese Leistung entziehen und von ihm die Rückzahlung der angeblich rechtsgrundlos gezahlten Beträge verlangen, weil er in einem anderen Mitgliedstaat, in dem er ebenfalls einen Wohnsitz hatte, eine Hinterbliebenenrente bezieht. Die im ersten Mitgliedstaat bezogene Altersrente kann jedoch in Anwendung einer etwaigen nationalen Antikumulierungsvorschrift um den Betrag der in dem anderen Mitgliedstaat bezogenen Leistungen gekürzt werden.

Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens einer Entscheidung, mit der in Anwendung einer etwaigen nationalen Antikumulierungsvorschrift eine Kürzung der im ersten Mitgliedstaat bezogenen Altersrente um den Betrag der in dem anderen Mitgliedstaat bezogenen Leistungen verfügt wird, dann nicht entgegensteht, wenn diese Entscheidung beim Empfänger dieser Leistungen nicht zu einer ungünstigeren Situation führt als bei einer Person, die sich in einer Situation ohne grenzüberschreitenden Bezug befindet, und, sollte ein solcher Nachteil festgestellt werden, durch objektive Erwägungen gerechtfertigt ist sowie in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Zweck steht, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Apelacyjny – Sąd Pracy i Ubezpieczeń Społecznych w Białymstoku (Polen) mit Entscheidung vom 2. Dezember 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 2010, in dem Verfahren

Janina Wencel

gegen

Zakład Ubezpieczeń Społecznych w Białymstoku

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter M. Ilešič, J.-J. Kasel (Berichterstatter) und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • des Zakład Ubezpieczeń Społecznych w Białymstoku, vertreten durch K. M. Kalinowska, U. Kulisiewicz und A. Szybkie als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar, J. Faldyga und A. Siwek als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und M. Owsiany-Hornung als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Mai 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 20 Abs. 2 AEUV und 21 AEUV sowie einiger Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten und zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 (ABl. L 177, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Wencel und dem Zakład Ubezpieczeń Społecznych w Białymstoku (Sozialversicherungsanstalt, Zweigstelle Białystok, im Folgenden: ZUS) wegen ihres Anspruchs auf eine Altersrente.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In Art. 1 Buchst. h der Verordnung Nr. 1408/71 ist der Begriff „Wohnort” als der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts definiert.

Rz. 4

Gemäß Art. 6 Buchst. b der V...

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