Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz. Rücktrittsfrist. Verbot, vom Verbraucher vor Ablauf der Rücktrittsfrist eine Anzahlung oder Zahlung zu fordern
Normenkette
EG Art. 28, 30; Richtlinie 97/7/EG
Beteiligte
Gysbrechts und Santurel Inter |
Tenor
Art. 29 EG steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die es dem Lieferanten beim Fernabsatz untersagt, vom Verbraucher vor Ablauf der Rücktrittsfrist eine Anzahlung oder Zahlung zu verlangen, wohl aber einem aus der Anwendung nach dieser Regelung resultierenden Verbot, vom Verbraucher vor Ablauf dieser Frist die Angabe seiner Kreditkartennummer zu verlangen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hof van beroep te Gent (Belgien) mit Entscheidung vom 20. März 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 19. April 2007, in dem bei diesem Gericht anhängigen Strafverfahren gegen
Lodewijk Gysbrechts,
Santurel Inter BVBA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas und K. Lenaerts, der Richter A. Tizzano und J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter K. Schiemann und J. Klučka sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin),
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Santurel Inter BVBA, vertreten durch H. Van Dooren, advocaat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Stromsky und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. Juli 2008
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 28 EG bis 30 EG.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Gysbrechts und die Santurel Inter BVBA (im Folgenden: Santurel) wegen Zuwiderhandlungen gegen die belgische Regelung für den Fernabsatz.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Art. 6 der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz (ABl. L 144, S. 19) bestimmt:
„(1) Der Verbraucher kann jeden Vertragsabschluss im Fernabsatz innerhalb einer Frist von mindestens sieben Werktagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung widerrufen. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren.
Die Frist für die Wahrnehmung dieses Rechts beginnt
– bei Waren mit dem Tag ihres Eingangs beim Verbraucher, wenn die Verpflichtungen im Sinne des Artikels 5 erfüllt sind;
…
(2) Übt der Verbraucher das Recht auf Widerruf gemäß diesem Artikel aus, so hat der Lieferer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten. Die einzigen Kosten, die dem Verbraucher infolge der Ausübung seines Widerrufsrechts auferlegt werden können, sind die unmittelbaren Kosten der Rücksendung der Waren. Die Erstattung hat so bald wie möglich[,] in jedem Fall jedoch binnen 30 Tagen zu erfolgen.”
Rz. 4
Art. 14 der Richtlinie 97/7 lautet:
„Die Mitgliedstaaten können in dem unter diese Richtlinie fallenden Bereich mit dem EG-Vertrag in Einklang stehende strengere Bestimmungen erlassen oder aufrechterhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Durch solche Bestimmungen können sie im Interesse der Allgemeinheit den Vertrieb im Fernabsatz für bestimmte Waren und Dienstleistungen, insbesondere Arzneimittel, in ihrem Hoheitsgebiet unter Beachtung des EG-Vertrags verbieten.”
Nationales Recht
Rz. 5
Das Rücktrittsrecht des Verbrauchers ist durch Art. 80 des Gesetzes vom 14. Juli 1991 über die Handelspraktiken sowie die Aufklärung und den Schutz der Verbraucher in dessen geänderter Fassung (im Folgenden: Verbraucherschutzgesetz) geregelt.
Rz. 6
Art. 80 § 3 des Verbraucherschutzgesetzes bestimmt:
„Unbeschadet der Anwendung von Artikel 45 § 1 des Gesetzes vom 12. Juni 1991 über den Verbraucherkredit kann vor Ablauf der in § 1 erwähnten Rücktrittsfrist von sieben Werktagen vom Verbraucher keine Anzahlung oder Zahlung gefordert werden.
Wird das in den §§ 1 und 2 erwähnte Rücktrittsrecht ausgeübt, so hat der Verkäufer die vom Verbraucher geleisteten Zahlungen kostenlos zu erstatten. Die Erstattung hat spätestens innerhalb dreißig Tagen nach dem Rücktritt zu erfolgen.
Das Verbot im Sinne von Absatz 1 wird aufgehoben, wenn der Verkäufer nachweist, dass er die vom König festgelegten Regeln im Hinblick auf eine mögliche Erstattung der vom Verbraucher geleisteten Zahlungen einhält.”
Rz. 7
Die Königliche Verordnung, auf die sich der letzte Absatz dieser Bestimmung bezieht, is...