Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 2004/83/EG. Mindestnormen über die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus. Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz. Art. 2 Buchst. e. Tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens. Art. 15 Buchst. c. Ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts. Beweis
Beteiligte
Staatssecretaris van Justitie |
Tenor
Art. 15 Buchst. c in Verbindung mit Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist wie folgt auszulegen:
- Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person, die die Gewährung des subsidiären Schutzes beantragt, setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist.
- Das Vorliegen einer solchen Bedrohung kann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedstaats, bei denen eine Klage gegen die Ablehnung eines solchen Antrags anhängig ist, ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Raad van State (Niederlande) mit Entscheidung vom 12. Oktober 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Oktober 2007, in dem Verfahren
Meki Elgafaji,
Noor Elgafaji
gegen
Staatssecretaris van Justitie
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Lenaerts und M. ilešič sowie der Richter G. Arestis, A. Borg Barthet, J. Malenovský, U. Lõhmus und L. Bay Larsen (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn und Frau Elgafaji, vertreten durch A. Hekman, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und C. ten Dam als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki, T. Papadopoulou und G. Papagianni als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch J.-C. Niollet als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch R. Adam als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch S. Johannesson und C. Meyer-Seitz als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Jackson als Bevollmächtigte im Beistand von S. Wordsworth, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Condou-Durande und R. Troosters als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. September 2008
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Buchst. c in Verbindung mit Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12, mit Berichtigung in ABl. 2005, L 204, S. 24, im Folgenden: Richtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen Herrn und Frau Elgafaji (im Folgenden: Eheleute Elgafaji) einerseits, die beide die irakische Staatsangehörigkeit besitzen, und dem Staatssecretaris van Justitie andererseits wegen Ablehnung des Antrags der Eheleute Elgafaji, ihnen eine befristete Aufenthaltserlaubnis in den Niederlanden zu erteilen.
Rechtlicher Rahmen
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
Rz. 3
Die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bestimmt in ihrem Art. 3 („Ve...