Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Freier Dienstleistungsverkehr. Seekabotage. Verordnung (EWG) Nr. 3577/92. Art. 1 und 4. Vorherige behördliche Genehmigung der Kabotagedienste. Überwachung der Sicherheitsbedingungen der Schiffe. Aufrechterhaltung der Ordnung in den Häfen. Gemeinwohlverpflichtungen. Fehlen genauer und im Voraus bekannter Kriterien
Beteiligte
Naftiliaki Etaireia Thasou |
Naftiliaki Etaireia Thasou AE |
Amaltheia I Naftiki Etaireia |
Ypourgos Emporikis Naftilías |
Tenor
Art. 1 in Verbindung mit Art. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 7. Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage) ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, mit der ein System der vorherigen Genehmigung für Seekabotagedienste eingeführt wird, das den Erlass von Verwaltungsentscheidungen zur Einhaltung bestimmter Fahrplanzeiten aus Gründen vorsieht, die mit der Sicherheit der Schiffe und der Ordnung in den Häfen sowie mit Gemeinwohlverpflichtungen zusammenhängen, vorausgesetzt, dass ein solches System – insbesondere für den Fall, dass mehrere Reeder zum selben Zeitpunkt in denselben Hafen einlaufen möchten – auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruht. Bei Verwaltungsentscheidungen, durch die Gemeinwohlverpflichtungen auferlegt werden, ist darüber hinaus erforderlich, dass ein tatsächlicher Bedarf für eine Gemeinwohldienstleistung feststellbar ist, weil die Linienverkehrsdienste bei freiem Wettbewerb nicht ausreichend wären. Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu beurteilen, ob in den Ausgangsverfahren diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Symvoulio tis Epikrateias (Griechenland) mit Entscheidungen vom 30. Dezember 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 11. März 2010, in den Verfahren
Naftiliaki Etaireia Thasou AE (C-128/10),
Amaltheia I Naftiki Etaireia (C-129/10)
gegen
Ypourgos Emporikis Naftilías,
Streithelferin:
Koinopraxia Epibatikon Ochimatagogon Ploion Kavalas – Thasou (C-128/10),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Schiemann sowie des Richters L. Bay Larsen und der Richterin C. Toader (Berichterstatterin),
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der griechischen Regierung, vertreten durch S. Chala als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der Seekabotage.
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zum einen der Naftiliaki Etaireia Thasou AE (im Folgenden: Naftiliaki Etaireia Thasou) und zum anderen der Amaltheia I Naftiki Etaireia jeweils gegen den Ypourgos Emporikis Naftilías (Minister für die Handelsmarine) über die Gültigkeit von Entscheidungen dieses Ministers, die die Seekabotage bestimmten Voraussetzungen unterwerfen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In der Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 7. Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage) (ABl. L 364, S. 7) (im Folgenden: Verordnung) heißt es im achten Erwägungsgrund:
„Die Kabotagefreiheit sollte schrittweise eingeführt werden und braucht nicht unbedingt für alle betroffenen Dienstleistungen einheitlich zu sein; zu berücksichtigen wären die Beschaffenheit bestimmter spezifischer Dienstleistungen sowie der Umfang der Anstrengungen, die einigen Volkswirtschaften in der Gemeinschaft aufgrund des unterschiedlichen Entwicklungsstandes abverlangt werden.”
Rz. 4
Der neunte Erwägungsgrund der Verordnung lautet:
„Die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Leistungen mit bestimmten Rechten und Pflichten für die betreffenden Reeder kann vertretbar sein, um ausreichende Liniendienste von, zwischen und nach Inseln sicherzustellen, sofern es dabei nicht zu Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes kommt.”
Rz. 5
Art. 1 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:
„Mit Wirkung vom 1. Januar 1993 gilt der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs im Seeverkehr innerhalb eines Mitgliedstaats (Seekabotage) für Gemeinschaftsreeder, deren Schiffe in einem Mitgliedstaat registriert sind und unter der Flagge eines Mitgliedstaats fahren, sofern diese Schiffe alle Voraussetzungen erfüllen, um zur Kabotage in diesem Mitgliedstaat zugelassen zu werden; hierin eingeschlossen sind die in EUROS registrierten Schiffe, sobald dieses Register vom Rat geb...