Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Grundsatz der Nicht-Diskriminierung. Sachliche Gründe, die eine unterschiedliche Behandlung befristet beschäftigter Arbeitnehmer rechtfertigen. Massenentlassung. Nationale Regelung über den Schutz, der einem von einer ungerechtfertigten Massenentlassung betroffenen Arbeitnehmer zu gewähren ist. Anwendung einer weniger günstigen Schutzregelung auf vor ihrem Inkrafttreten geschlossene befristete Arbeitsverträge, die nach diesem Zeitpunkt in unbefristete Verträge umgewandelt werden

 

Normenkette

Richtlinie 1999/70/EG; Richtlinie 98/59/EG; EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge Paragraf 4

 

Beteiligte

Consulmarketing

KO

Consulmarketing SpA

 

Tenor

1. Nationale Rechtsvorschriften, die vorsehen, dass in ein und demselben Massenentlassungsverfahren nebeneinander zwei unterschiedliche Regelungen über den Schutz von Dauerbeschäftigten im Fall einer Massenentlassung, bei der gegen die Kriterien für die Auswahl der von diesem Verfahren betroffenen Arbeitnehmer verstoßen wurde, zur Anwendung kommen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen und können daher nicht im Hinblick auf die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und insbesondere deren Art. 20 und 30 verbürgten Grundrechte geprüft werden.

2. Paragraf 4 der Rahmenvereinbarung vom 18. März 1999 über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die eine neue Regelung über den Schutz von Dauerbeschäftigten bei einer ungerechtfertigten Massenentlassung auf Arbeitnehmer erstrecken, deren vor dem Inkrafttreten dieser Regelung geschlossener befristeter Vertrag nach diesem Zeitpunkt in einen unbefristeten Vertrag umgewandelt wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Milano (Landesgericht Mailand, Italien) mit Entscheidung vom 5. August 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 2. September 2019, in dem Verfahren

KO

gegen

Consulmarketing SpA, in Konkurs,

Beteiligte:

Filcams CGIL,

Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter A. Kumin (Berichterstatter), T. von Danwitz und P. G. Xuereb sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von KO, der Filcams CGIL und der Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL), vertreten durch C. De Marchis Gómez, avvocato,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Aiello und E. Manzo, avvocati dello Stato,
  • der Europäischen Kommission, ursprünglich vertreten durch B.-R. Killmann, A. Spina und M. van Beek, dann durch B.-R. Killmann und A. Spina als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16), des Paragrafen 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999 (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43) sowie der Art. 20 und 30 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen KO und der Consulmarketing SpA, in Konkurs, über den Rechtsschutz, der KO infolge ihrer Entlassung durch Consulmarketing im Rahmen einer ungerechtfertigten Massenentlassung zu gewähren ist.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 98/59

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 2 und 6 der Richtlinie 98/59 heißt es:

„(2) Unter Berücksichtigung der Notwendigkeit einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Gemeinschaft ist es wichtig, den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu verstärken.

(6) Die auf der Tagung des Europäischen Rates in Straßburg am 9. Dezember 1989 von den Staats- und Regierungschefs von elf Mitgliedstaaten angenommene Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer sieht unter Nummer 7 … Folgendes vor: ‚… Die Verwirklichung des Binnenmarktes muss zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen …’”

Rz. 4

Nach ihrem Art. 1 Abs. 2 Buchst. a findet diese Richtlinie u. a. keine Anwen...

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