Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 98/37/EG. Maßnahmen gleicher Wirkung. Maschinen, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie 98/37/EG vermutet wird. Öffentlich geäußerte Kritik eines staatlichen Beamten
Beteiligte
Tenor
1. Die Äußerungen eines Beamten sind dem Staat zurechenbar, wenn aufgrund ihrer Form und der Umstände bei den Empfängern der Äußerungen der Eindruck entsteht, dass es sich um offizielle staatliche Verlautbarungen und nicht um die private Meinung des Beamten handelt. Um Äußerungen eines Beamten dem Staat zurechnen zu können, kommt es entscheidend darauf an, ob die Empfänger dieser Äußerungen den Umständen nach annehmen dürfen, dass der Beamte diese Äußerungen mit Amtsautorität macht. Sofern die Äußerungen eines Beamten, die eine Maschine, deren Übereinstimmung mit der Richtlinie bestätigt wurde, als gegen die für sie geltende harmonisierte Norm verstoßend und gefährlich darstellen, dem Staat zurechenbar sind, verletzen sie Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen.
2. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens kann eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/37 durch das Verhalten eines Beamten, sofern es dem Mitgliedstaat, dem er angehört, zurechenbar ist, weder mit dem Gesundheitsschutz noch mit der Meinungsäußerungsfreiheit der Beamten gerechtfertigt werden.
3. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 98/37 ist dahin auszulegen, dass er unter den vorliegenden Umständen im Fall von Maschinen, die richtlinienkonform sind oder deren Konformität vermutet wird, Einzelnen Rechte verleiht und den Mitgliedstaaten keinen Gestaltungsspielraum einräumt. Die Nichtbeachtung dieser Bestimmung durch Äußerungen eines Beamten eines Mitgliedstaats stellt, sofern sie diesem Staat zurechenbar sind, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, um die Haftung dieses Staats auszulösen.
4. Es ist gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden, dass im nationalen Recht eines Mitgliedstaats besondere Voraussetzungen für den Ersatz von anderen Schäden als Personen- und Sachschäden vorgesehen werden, sofern sie so ausgestaltet sind, dass sie eine Entschädigung für den Schaden, der durch eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts entstanden ist, nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.
5. Im Fall eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht steht dieses der Möglichkeit der Haftung eines Beamten neben derjenigen des Mitgliedstaats nicht entgegen, verlangt sie aber nicht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tampereen käräjäoikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 7. November 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 11. November 2003, in dem Verfahren
A.G.M.-COS.MET Srl
gegen
Suomen valtio,
Tarmo Lehtinen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas und K. Lenaerts, des Richters J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. Makarczyk (Berichterstatter), G. Arestis, A. Borg Barthet und M. Ilešič,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der A.G.M.-COS.MET Srl, vertreten durch P. Kyllönen, asianajaja,
- von T. Lehtinen, vertreten durch S. Kemppinen und K. Harenko, asianajajat,
- der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und N. A. J. Bel als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Beek und P. Aalto als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. November 2005
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 98/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen (ABl. L 207, S. 1, im Folgenden: Richtlinie) und die Voraussetzungen für die Haftung eines Mitgliedstaats und seiner Beamten im Fall einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der A.G.M.-COS.MET Srl (im Folgenden: AGM), einer Gesellschaft italienischen Rechts, und dem Suomen valtio (dem finnischen Staat) und Herrn Lehtinen, einem Beamten des Sosiaali- ja terveysministeriö (im Folgenden: Sozial- und Gesundheitsministerium) wegen Ersatzes des Schadens, den AGM aufgrund von Verstößen gegen die Richtlinie erlitten zu haben behauptet.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Die Richtlinie legt die grundlegenden...