Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Vorlage zur Vorabentscheidung. Auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht. Durch ein Boot in einem Mitgliedstaat verursachter Unfall. Entschädigung des Opfers dieses Unfalls. Gesetzlicher Forderungsübergang nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats. Erstattungsantrag des Dritten, auf den die Forderung übergegangen ist. Anzuwendendes Recht. Verjährung
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 864/2007 Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Buchst. h, Art. 19
Beteiligte
Fonds de Garantie des Victimes des Actes de Terrorisme und d’Autres Infractions |
Fonds de Garantie des Victimes des Actes de Terrorisme et d’Autres Infractions (FGTI) |
Tenor
Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Buchst. h und Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“)
sind dahin auszulegen, dass
das Recht, das für den Anspruch eines Dritten, auf den die Forderung des Geschädigten gegen den Schadensverursacher übergegangen ist, und insbesondere für die Vorschriften über die Verjährung dieses Anspruchs maßgebend ist, grundsätzlich das Recht des Staates ist, in dem der Schaden eintritt.
Tatbestand
In der Rechtssache C-264/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon, Portugal) mit Entscheidung vom 5. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 20. April 2022, in dem Verfahren
Fonds de Garantie des Victimes des Actes de Terrorisme et d’Autres Infractions (FGTI)
gegen
Victoria Seguros SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, des Richters J.-C. Bonichot und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – des Fonds de Garantie des Victimes des Actes de Terrorisme et d’Autres Infractions (FGTI), vertreten durch L. Franco e Abreu, Advogado,
- – der Victoria Seguros SA, vertreten durch J. Serrano Santos, Advogado,
- – der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, S. Duarte Afonso, A. Pimenta und J. Ramos als Bevollmächtigte,
- – der tschechischen Regierung, vertreten durch A. Edelmannová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Melo Sampaio und W. Wils als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1, Art. 15 Buchst. h und Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. 2007, L 199, S. 40).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d’autres infractions (FGTI) und der Victoria Seguros SA, einer Versicherungsgesellschaft, über die Erstattung der Entschädigung, die dieser Fonds dem Opfer eines Unfalls, der sich in Portugal ereignete, geleistet hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 6, 14 und 16 der Verordnung Nr. 864/2007 heißt es:
„(6) Um den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbarer zu machen und die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht sowie den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen zu fördern, müssen die in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen im Interesse eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts unabhängig von dem Staat, in dem sich das Gericht befindet, bei dem der Anspruch geltend gemacht wird, dieselben Verweisungen zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts vorsehen.
…
(14) Das Erfordernis der Rechtssicherheit und die Notwendigkeit, in jedem Einzelfall Recht zu sprechen, sind wesentliche Anforderungen an einen Rechtsraum. Diese Verordnung bestimmt die Anknüpfungskriterien, die zur Erreichung dieser Ziele am besten geeignet sind. …
…
(16) Einheitliche Bestimmungen sollten die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen verbessern und einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Personen, deren Haftung geltend gemacht wird, und Geschädigten gewährleisten. Die Anknüpfung an den Staat, in dem der Schaden selbst eingetreten ist (lex loci damni), schafft einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Person, deren Haftung geltend gemacht wird, und der Person, die geschädigt wurde, und entspricht der modernen Konzeption der zivilrechtlichen Haftung und der Entwicklung der Gefährdungshaftung.“
Rz. 4
Art. 4 („Allgemeine Kollisionsnorm“) Abs. 1 der Verordnung bestimmt:
„Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus uner...