Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. ‚Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU’. Voraussetzungen für die Gewährung. Rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt im Empfangsmitgliedstaat während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Antrags. Person, die in einer familiären Beziehung zu dem langfristig Aufenthaltsberechtigten steht. Günstigere nationale Bestimmungen. Wirkungen
Normenkette
Richtlinie 2003/109/EG Art. 2, 4 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1, Art. 13
Beteiligte
Tenor
1. Die Art. 4 Abs. 1 und 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen in der durch die Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass ein Familienangehöriger des bereits langfristig Aufenthaltsberechtigten im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie nicht von der Voraussetzung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie befreit werden kann, wonach sich der Drittstaatsangehörige zur Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten unmittelbar vor der Stellung des entsprechenden Antrags fünf Jahre lang ununterbrochen rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufgehalten haben muss.
2. Art. 13 der Richtlinie 2003/109 in der durch die Richtlinie 2011/51 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat nicht gestattet, einem Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Buchst. e dieser Richtlinie eine langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU unter günstigeren Voraussetzungen als denen der Richtlinie auszustellen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Verona (Italien) mit Entscheidung vom 27. August 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 30. August 2013, in dem Verfahren
Shamim Tahir
gegen
Ministero dell'Interno,
Questura di Verona
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und B. Beutler als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch F.-X. Bréchot und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Noort und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und A. Aresu als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 7 Abs. 1 und 13 in Verbindung mit den Art. 2 Buchst. e und 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44) in der durch die Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 (ABl. L 132, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2003/109).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Tahir auf der einen Seite und dem Ministero dell'Interno (Ministerium des Innern) sowie der Questura di Verona (Quästur Verona) auf der anderen Seite über die Ablehnung eines Antrags durch Letztere, mit dem Frau Tahir die Ausstellung einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung – EU begehrte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2003/109
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 4 und 6 der Richtlinie 2003/109 lauten:
„(4) Die Integration von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind, trägt entscheidend zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts bei, der als eines der Hauptziele der [Union] im Vertrag angegeben ist.
…
(6) Die Dauer des Aufenthalts im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats sollte das Hauptkriterium für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten sein. Der Aufenthalt sollte rechtmäßig und ununterbrochen sein, um die Verwurzlung der betreffenden Person im Land zu belegen. Eine gewisse Flexibilität sollte vorgesehen werden, damit Umstände berücksichtigt werden können, die eine Person veranlassen können, das Land zeitweilig zu verlassen.”
Rz. 4
Im 17. Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird ausgeführt:
„Die Harmonisierung der Bedingungen für die Erlangung der Rechtsstellung eines langfristig Aufenthaltsberechtigten fördert das ...