Entscheidungsstichwort (Thema)
Unlautere Geschäftspraktiken. Persönlicher Anwendungsbereich. Irreführende Unterlassungen in als Information getarnter Werbung. Regelung eines Mitgliedstaats, nach der entgeltliche Veröffentlichungen ohne die Kennzeichnung als ‚Anzeige’. verboten sind. Vollständige Harmonisierung. Strengere Maßnahmen. Pressefreiheit
Normenkette
Richtlinie 2005/29/EG
Beteiligte
RLvS Verlagsgesellschaft mbH |
Stuttgarter Wochenblatt GmbH |
Tenor
Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ist es nicht möglich, sich gegenüber Presseverlegern auf die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) zu berufen, so dass die Richtlinie unter diesen Umständen dahin auszulegen ist, dass sie der Anwendung einer nationalen Bestimmung nicht entgegensteht, wonach Presseverleger jede Veröffentlichung in ihren periodischen Druckwerken, für die sie ein Entgelt erhalten, speziell kennzeichnen müssen – im vorliegenden Fall mit dem Begriff „Anzeige” –, es sei denn, durch die Anordnung und Gestaltung der Veröffentlichung ist allgemein zu erkennen, dass es sich um eine Anzeige handelt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 19. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 22. August 2012, in dem Verfahren
RLvS Verlagsgesellschaft mbH
gegen
Stuttgarter Wochenblatt GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der RLvS Verlagsgesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwalt A. Sasdi,
- der Stuttgarter Wochenblatt GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte F.-W. Engel und A. Rinkler,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vlácil und S. Šindelková als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Owsiany-Hornung, V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. L 149, S. 22, berichtigt im ABl. 2009, L 253, S. 18), und die Auslegung der Nr. 11 des Anhangs I dieser Richtlinie.
Rz. 2
Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der RLvS Verlagsgesellschaft mbH (im Folgenden: RLvS) und der Stuttgarter Wochenblatt GmbH (im Folgenden: Stuttgarter Wochenblatt) wegen der Möglichkeit, RLvS zu untersagen, in einem Anzeigenblatt entgeltliche Veröffentlichungen ohne die Kennzeichnung als „Anzeige” zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2005/29
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 6 bis 8 der Richtlinie 2005/29 lauten:
„(6) Die vorliegende Richtlinie gleicht … die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken einschließlich der unlauteren Werbung an, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher unmittelbar und dadurch die wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber mittelbar schädigen. Im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip schützt diese Richtlinie die Verbraucher vor den Auswirkungen solcher unlauteren Geschäftspraktiken, soweit sie als wesentlich anzusehen sind, berücksichtigt jedoch, dass die Auswirkungen für den Verbraucher in manchen Fällen unerheblich sein können. Sie erfasst und berührt nicht die nationalen Rechtsvorschriften in Bezug auf unlautere Geschäftspraktiken, die lediglich die wirtschaftlichen Interessen von Mitbewerbern schädigen oder sich auf ein Rechtsgeschäft zwischen Gewerbetreibenden beziehen; die Mitgliedstaaten können solche Praktiken, falls sie es wünschen, unter uneingeschränkter Wahrung des Subsidiaritätsprin...