Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge. Zugang zu den Nachprüfungsverfahren. Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Nachprüfungsverfahren mit Suspensiveffekt vorzusehen. Nachprüfungsstelle in erster Instanz. Nachprüfung der Entscheidung über die Vergabe eines Auftrags. Nachprüfungsstelle, die kein Gericht ist- Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag vor Erhebung einer Klage gegen eine Entscheidung dieser Stelle. Effektiver gerichtlicher Rechtsschutz
Normenkette
Richtlinie 89/665/EWG; Richtlinie 89/665/EWG Art. 2 Abs. 3, Art. 2a Abs. 2, Art. 2 Abs. 9; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47
Beteiligte
Úřad pro ochranu hospodářské soutěže |
Tenor
Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 geänderten Fassung
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Regelung, die dem Auftraggeber den Abschluss eines Vertrags über einen öffentlichen Auftrag nur bis zu dem Zeitpunkt untersagt, an dem eine Stelle in erster Instanz im Sinne dieses Art. 2 Abs. 3 über den Nachprüfungsantrag gegen die Entscheidung über die Vergabe dieses Auftrags entscheidet, nicht entgegenstehen, ohne dass es insoweit auf die Frage ankommt, ob diese Stelle ein Gericht ist oder nicht.
Tatbestand
In der Rechtssache C-303/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno [Brünn], Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 5. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Mai 2022, in dem Verfahren
CROSS Zlín a.s.
gegen
Úřad pro ochranu hospodářské soutěže,
Beteiligte:
Statutární město Brno,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), der Richterin O. Spineanu-Matei, der Richter J.-C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Lamote, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der CROSS Zlín a.s., vertreten durch M. Šimka und L. Vaculínová, Advokáti,
- – des Úřad pro ochranu hospodářské soutěže, vertreten durch P. Mlsna und I. Pospíšilíková als Bevollmächtigte,
- – der tschechischen Regierung, vertreten durch L. Halajová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- – der zyprischen Regierung, vertreten durch N. Ioannou, D. Kalli und E. Zachariadou als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, P. Ondrůšek und G. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. September 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 3 und Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 (ABl. 2014, L 94, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665), sowie von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der CROSS Zlín a.s. und dem Úřad pro ochranu hospodářské soutěže (Wettbewerbsbehörde, Tschechische Republik) (im Folgenden: Behörde) über die durch den Vorsitzenden dieser Behörde erfolgte Bestätigung der Zurückweisung eines Nachprüfungsantrags, den CROSS Zlín gegen die Entscheidung des Statutární město Brno (Stadt Brno [Brünn], Tschechische Republik) gestellt hatte, sie von einem Verfahren über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags über die Erweiterung der Funktionen der Verkehrssteuerungszentrale (betreffend das System der Lichtsignalanlagen) dieser Stadt auszuschließen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der fünfte Erwägungsgrund der Richtlinie 89/665 lautet:
„Angesichts der Kürze der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge müssen die für die Nachprüfung zuständige[n] Stellen vor allem befugt sein, vorläufige Maßnahmen zu treffen, um das Vergabeverfahren oder die Durchführung etwaiger Beschlüsse der Vergabebehörde auszusetzen. Die Kürze der Vergabeverfahren macht eine dringliche Behandlung der genannten Verstöße notwendig.“
Rz. 4
In den Erwägungsgründen 3, 4 und 36 der Richtlinie 2007/66/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG des Rates im...