Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung. Berufsunfall. Dauerhafte vollständige Berufsunfähigkeit. Beendigung des Arbeitsvertrags. Angemessene Vorkehrungen
Normenkette
Richtlinie 2000/78/EG; Richtlinie 2000/78/EG Art. 5
Beteiligte
Tenor
Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist im Licht der Art. 21 und 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie der Art. 2 und 27 des durch den Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag beenden kann, weil der Arbeitnehmer wegen einer im Laufe des Arbeitsverhältnisses eingetretenen Behinderung dauerhaft außerstande ist, die ihm aufgrund dieses Vertrags obliegenden Aufgaben zu erfüllen, ohne dass der Arbeitgeber verpflichtet wäre, zuvor angemessene Vorkehrungen zu treffen oder beizubehalten, um eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu ermöglichen, oder gegebenenfalls nachzuweisen, dass solche Vorkehrungen eine unverhältnismäßige Belastung darstellen würden.
Tatbestand
In der Rechtssache C-631/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de las Islas Baleares (Obergericht der Baleareninseln, Spanien) mit Entscheidung vom 26. September 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Oktober 2022, in dem Verfahren
J.M.A.R.
gegen
Ca Na NegretaSA,
Beteiligter:
Ministerio Fiscal,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter), P. G. Xuereb und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Ca Na Negreta SA, vertreten durch I. M. Roa Ruiz, Abogado,
- – der spanischen Regierung, vertreten durch M. Morales Puerta als Bevollmächtigte,
- – der griechischen Regierung, vertreten durch V. Baroutas und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Clotuche-Duvieusart, I. Galindo Martín und E. Schmidt als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) im Licht der Art. 21 und 26 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie der Art. 2 und 27 des durch den Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 (ABl. 2010, L 23, S. 35) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (im Folgenden: VN-Übereinkommen).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen J.M.A.R. und der Ca Na Negreta SA wegen der Beendigung des Arbeitsvertrags von J.M.A.R. durch Ca Na Negreta wegen seiner dauerhaften vollständigen Unfähigkeit zur Ausübung seines gewöhnlichen Berufs.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
In Buchst. e der Präambel des VN-Übereinkommens heißt es:
„in der Erkenntnis, dass das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt und dass Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht, die sie an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern“.
Rz. 4
Art. 1 („Zweck“) dieses Übereinkommens lautet:
„Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.
Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“
Rz. 5
Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) des VN-Übereinkommens sieht vor:
„Im Sinne dieses Übereinkommens
…
bedeutet ‚Diskriminierung aufgrund von Behinderung‘ jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründe...