Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Sicherheit von Wanderarbeitnehmern. Zugehörigkeit zum Pflichtversicherungssystem. Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung. Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem Pflichtversicherungssystem in einem Mitgliedstaat
Leitsatz (amtlich)
1. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Freiwillige Versicherung oder freiwillige Weiterversicherung – Befugnis zur Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen, die von der Zugehörigkeit zum nationalen Pflichtversicherungssystem abhängt – Voraussetzung nicht erfüllt bei Zugehörigkeit zum Pflichtversicherungssystem eines anderen Mitgliedstaats
2. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Freiwillige Versicherung oder freiwillige Weiterversicherung – Nationale Rechtsvorschriften, wonach die Befugnis zur Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen von der Zugehörigkeit zum nationalen Pflichtversicherungssystem abhängt – Von Inländern zu erfüllende Voraussetzung – Zulässigkeit
1. Artikel 9 der Verordnung Nr. 1408/71 ist dahin auszulegen, daß die Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem Pflichtversicherungssystem in einem Mitgliedstaat, die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates zum Zeitpunkt der Einreichung eines Antrags auf Nachentrichtung freiwilliger Rentenversicherungsbeiträge erfüllt sein muß, nicht als erfüllt gilt, wenn der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt einem Pflichtversicherungssystem in einem anderen Mitgliedstaat angehört.
2. Die Artikel 48 und 51 EWG-Vertrag stehen der Anwendung von nationalen Rechtsvorschriften auf die Angehörigen eines Mitgliedstaats nicht entgegen, wonach die Ausübung der Befugnis zur Nachentrichtung von Rentenversicherungsbeiträgen von der Zugehörigkeit zum nationalen Pflichtversicherungssystem abhängt. Es ist nämlich Sache eines jeden Mitgliedstaats, durch den Erlaß von Rechtsvorschriften die Voraussetzungen festzulegen, unter denen eine Person einem System der sozialen Sicherheit oder einem bestimmten Zweig eines solchen Systems beitreten kann oder muß, solange es dabei nicht zu einer Diskriminierung zwischen Inländern und Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten kommt.
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 9; EWGVtr Art. 48, 51
Beteiligte
Lieselotte Hartmann Troiani |
Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz |
Tenor
1) Artikel 9 der Verordnung Nr. 1408/71 ist dahin auszulegen, daß die Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einem Pflichtversicherungssystem in einem Mitgliedstaat, die nach den Rechtsvorschriften dieses Staates zum Zeitpunkt der Einreichung eines Antrags auf Nachentrichtung freiwilliger Rentenversicherungsbeiträge erfüllt sein muß, nicht als erfüllt gilt, wenn der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt einem Pflichtversicherungssystem in einem anderen Mitgliedstaat angehört.
2) Die Artikel 48 und 51 EWG-Vertrag sind dahin auszulegen, daß sie den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, wonach die Angehörigen dieses Staates eine Voraussetzung der Versicherungszugehörigkeit wie die des Artikels 2 § 28 ArVNG erfüllen müssen, nicht entgegenstehen.
Gründe
1 Das Bundessozialgericht hat mit Beschluß vom 10. September 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Dezember 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die in erster Linie die Auslegung von Artikel 9 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu – und abwandern (ABl. L 149, S. 2, kodifizierte Fassung in ABl. 1983, L 230, S. 8), und in zweiter Linie die Auslegung der Artikel 48 und 51 EWG-Vertrag zum Gegenstand haben.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Hartmann Troiani (Klägerin des Ausgangsverfahrens) und einem deutschen Sozialversicherungsträger, der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz (Beklagte des Ausgangsverfahrens), in dem es um die Nachentrichtung freiwilliger Rentenversicherungsbeiträge geht.
3 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war vom 1. März 1952 an in der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitnehmerin tätig. 1963 heiratete sie. Bei dieser Gelegenheit wurden ihr auf ihren Antrag gemäß § 1304 der deutschen Reichsversicherungsordnung die von ihr bis zu ihrer Heirat entrichteten Rentenversicherungsbeiträge erstattet. Nach ihrer Heirat war sie noch elf Monate in der Bundesrepublik Deutschland tätig und entrichtete während dieser Zeit Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung.
4 1964 verlegte die Klägerin des Ausgangsverfahrens ihren Wohnsitz nach Italien, wo sie eine Tätigkeit als Arbeitnehmerin aufnahm. 1981 stellte sie einen Antrag nach Artikel 2 § 28 des deutschen Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG). Nach dieser Bestimmung dürfen Frauen diejenigen Rentenversicherungsbeiträge freiwillig nachentrichten, die anläßlich ihrer Heirat erstattet worden waren. Sie lautet wie folgt:
„Weibliche Versicherte, die eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben und dene...