Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Fernabsatz von Finanzdienstleistungen. Geltungsbereich. Verträge über Finanzdienstleistungen, die eine erstmalige Dienstleistungsvereinbarung mit daran anschließenden aufeinanderfolgenden Vorgängen umfassen. Geltung der Richtlinie 2002/65/EG nur für die erste Vereinbarung. Begriff ‚Finanzdienstleistungen betreffender Vertrag’. Änderungsvereinbarung zu einem Darlehensvertrag, durch die der ursprünglich vereinbarte Zinssatz geändert wird
Normenkette
Richtlinie 2002/65/EG Art. 1 Art. 2 Buchst. a
Beteiligte
Tenor
Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG ist dahin auszulegen, dass eine Änderungsvereinbarung zu einem Darlehensvertrag nicht unter den Begriff „Finanzdienstleistungen betreffender Vertrag” im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn durch sie lediglich der ursprünglich vereinbarte Zinssatz geändert wird, ohne die Laufzeit des Darlehens zu verlängern oder dessen Höhe zu ändern, und die ursprünglichen Bestimmungen des Darlehensvertrags den Abschluss einer solchen Änderungsvereinbarung oder – für den Fall, dass eine solche nicht zustande kommen würde – die Anwendung eines variablen Zinssatzes vorsahen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Kiel (Deutschland) mit Entscheidung vom 7. September 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Oktober 2018, in dem Verfahren
KH
gegen
Sparkasse Südholstein
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta, der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und L. Bay Larsen sowie der Richterin C. Toader,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. September 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von KH, vertreten durch Rechtsanwalt C. Rugen,
- der Sparkasse Südholstein, vertreten durch Rechtsanwalt F. van Alen,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann, E. Lankenau und T. Henze als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und C. Valero als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. März 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. 2002, L 271, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen KH und der Sparkasse Südholstein wegen des Widerrufsrechts von KH bezüglich Änderungsvereinbarungen zu Darlehensverträgen, mit denen die ursprünglich festgelegte Verzinsung geändert wurde (Anschlusszinsvereinbarungen).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 1, 3, 13 und 16 bis 18 der Richtlinie 2002/65 heißt es:
„(1) Im Rahmen der Verwirklichung der Ziele des Binnenmarkts sind Maßnahmen zu dessen schrittweiser Festigung zu ergreifen; diese Maßnahmen müssen gemäß den Artikeln 95 und 153 [EG] zur Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus beitragen.
…
(3) … Um den Verbrauchern die Freiheit der Wahl zu gewährleisten, die für sie ein wesentliches Recht darstellt, ist ein hohes Verbraucherschutzniveau erforderlich, damit das Vertrauen des Verbrauchers in den Fernabsatz wächst.
…
(13) Mit der vorliegenden Richtlinie soll ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleistet werden, um den freien Verkehr von Finanzdienstleistungen sicherzustellen. Die Mitgliedstaaten sollten in den durch diese Richtlinie harmonisierten Bereichen keine anderen als die darin festgelegten Bestimmungen vorsehen dürfen, es sei denn, die Richtlinie sieht dies ausdrücklich vor.
…
(16) Ein einzelner Vertrag, der aufeinander folgende oder getrennte Vorgänge der gleichen Art umfasst, die in einem zeitlichen Zusammenhang stehen, kann je nach Mitgliedstaat in rechtlicher Hinsicht unterschiedlich ausgestaltet sein; die vorliegende Richtlinie muss aber in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen anwendbar sein. Daher sollte diese Richtlinie für den ersten einer Reihe von aufeinander folgenden oder getrennten Vorgängen der gleichen Art gelten, die in einem zeitlichen Zusammenhang stehen und als ein Gesamtvorgang betrachtet werden können, und zwar unabhängig davon, ob dieser Vorgang oder diese Reihe von Vorgängen Gegenstand eines einzigen Vertrags oder mehrerer aufeinander folgender Verträge ist.
(17) Als ‚erste Dienstleistungsvereinbarung’ gelten beispielsweise eine Kontoe...