Entscheidungsstichwort (Thema)

Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen. Art. 54. Grundsatz ‚ne bis in idem’. Begriff ‚dieselbe Tat’. Verschiedene Taten. Strafverfolgung in zwei Vertragsstaaten. Durch einen einheitlichen Vorsatz verbundene Taten

 

Beteiligte

Kraaijenbrink

Norma Kraaijenbrink

 

Tenor

Art. 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, das am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichnet worden ist, ist wie folgt auszulegen:

  • Das maßgebende Kriterium für die Anwendung dieses Artikels ist das der Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar miteinander verbundener Tatsachen, unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung dieser Tatsachen oder von dem geschützten rechtlichen Interesse;
  • verschiedene Taten, die u. a. darin bestehen, dass jemand in einem Vertragsstaat aus dem Handel mit Betäubungsmitteln stammende Geldbeträge besitzt und Geldbeträge gleicher Herkunft in Wechselstuben, die in einem anderen Vertragsstaat liegen, in Umlauf bringt, sind nicht schon deshalb als „dieselbe Tat” im Sinne von Art. 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen anzusehen, weil das zuständige nationale Gericht feststellt, dass diese Taten durch einen einheitlichen Vorsatz verbunden sind;
  • es ist Sache dieses nationalen Gerichts, zu prüfen, ob der Grad der Identität und des Zusammenhangs aller zu vergleichenden tatsächlichen Umstände in Anbetracht des vorerwähnten maßgebenden Kriteriums den Schluss zulässt, dass es sich um „dieselbe Tat” im Sinne von Art. 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen handelt.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 35 EU, eingereicht vom Hof van Cassatie (Belgien) mit Entscheidung vom 6. September 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2005, in dem Strafverfahren gegen

Norma Kraaijenbrink

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters J. Klučka, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. Makarczyk und L. Bay Larsen (Berichterstatter),

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2006,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Kraaijenbrink, vertreten durch M. De Boel, advocaat,
  • des Königreichs der Niederlande, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
  • der Tschechischen Republik, vertreten durch T. Bocek als Bevollmächtigten,
  • der Hellenischen Republik, vertreten durch M. Apessos, S. Trekli und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
  • des Königreichs Spanien, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten,
  • der Republik Österreich, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
  • der Republik Polen, vertreten durch J. Pietras als Bevollmächtigten,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Bogensberger und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 5. Dezember 2006

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 54 in Verbindung mit Art. 71 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ), das am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichnet worden ist.

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, das in Belgien gegen Frau Kraaijenbrink wegen Geldwäsche von Einnahmen aus dem Handel mit Betäubungsmitteln eingeleitet wurde.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

3 Art. 1 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, das durch den Vertrag von Amsterdam dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt worden ist (im Folgenden: Protokoll), ermächtigt 13 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter das Königreich Belgien und das Königreich der Niederlande, innerhalb des institutionellen und rechtlichen Rahmens der Union sowie des EU- und des EG-Vertrags untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands, wie er im Anhang zu diesem Protokoll festgelegt ist, zu begründen.

4 Der so festgelegte Schengen-Besitzstand umfasst u. a. das am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichnete Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen R...

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