Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Leistungen von Personenzusammenschlüssen an ihre Mitglieder, Organkreis als Mitglied eines Kostenteilungszusammenschlusses
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. f.
Beteiligte
Kaplan International Colleges UK |
Kaplan International Colleges UK Ltd |
The Commissioners for Her Majesty's Revenue & Customs |
Verfahrensgang
First-Tier Tribunal (Tax Chamber) (Vereinigtes Königreich) (Beschluss vom 30.01.2019; ABl. EU 2019 Nr. C 131/25) |
Tenor
Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Steuerbefreiung nicht auf Dienstleistungen anwendbar ist, die von einem selbständigen Zusammenschluss von Personen an eine Gruppe von Personen, die als ein Steuerpflichtiger behandelt werden kann, im Sinne von Art. 11 dieser Richtlinie erbracht werden, wenn nicht alle Mitglieder dieser Gruppe Mitglieder dieses selbständigen Zusammenschlusses von Personen sind. Das Bestehen von Bestimmungen des nationalen Rechts, nach denen das vertretungsberechtigte Mitglied einer solchen Gruppe von Personen, die als ein Steuerpflichtiger behandelt werden kann, für die Zwecke der Anwendung der für selbständige Zusammenschlüsse von Personen vorgesehenen Steuerbefreiung die Merkmale und den Status der Mitglieder des betreffenden selbständigen Zusammenschlusses von Personen besitzt, ist insoweit ohne Belang.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom First-tier Tribunal (Tax Chamber) (Gericht erster Instanz [Steuerkammer], Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 30. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Februar 2019, in dem Verfahren
Kaplan International Colleges UK Ltd
gegen
The Commissioners for Her Majesty's Revenue & Customs
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter A. Kumin, T. von Danwitz und P. G. Xuereb (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Kaplan International Colleges UK Ltd, vertreten durch R. Woolich und M. Murcia, Solicitors, und durch R. Hill, Barrister,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon, J. Kraehling und Z. Lavery als Bevollmächtigte im Beistand von O. Thomas, QC,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und R. Lyal als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 23. April 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Kaplan International Colleges UK Limited (im Folgenden: KIC) und den Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs (Steuer- und Zollverwaltung des Vereinigten Königreichs) wegen deren Weigerung, KIC die für selbständige Zusammenschlüsse von Personen vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 25 und 35 der Richtlinie 2006/112 heißt es:
„(25) Die Steuerbemessungsgrundlage sollte harmonisiert werden, damit die Anwendung der Mehrwertsteuer auf die steuerbaren Umsätze in allen Mitgliedstaaten zu vergleichbaren Ergebnissen führt.
…
(35) Im Hinblick auf eine gleichmäßige Erhebung der Eigenmittel in allen Mitgliedstaaten sollte ein gemeinsames Verzeichnis der Steuerbefreiungen aufgestellt werden.”
Rz. 4
Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Der Mehrwertsteuer unterliegen folgende Umsätze:
…
c) Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt erbringt”.
Rz. 5
Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.”
Rz. 6
In Art. 11 der Richtlinie 2006/112 heißt es:
„Nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer … kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
Ein Mitgliedstaat, der die in Absatz 1 vorgesehene Möglichkeit in Anspruch nimmt...