Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Geistiges Eigentum. Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Rechtsschutz von Computerprogrammen. Software-Lizenzvertrag. Gegen den Lizenzvertrag verstoßende unerlaubte Änderung des Quellcodes durch einen Lizenznehmer. Deliktsrechtliche Verletzungsklage des Urhebers gegen den Lizenznehmer. Natur der anwendbaren Haftungsregelung
Normenkette
Richtlinie 2004/48/EG; Richtlinie 2009/24/EG
Beteiligte
Tenor
Die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums und die Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen sind dahin auszulegen, dass die Verletzung einer Klausel eines Lizenzvertrags für ein Computerprogramm, die die gewerblichen Schutzrechte des Inhabers der Urheberrechte an diesem Programm betrifft, unter den Begriff „gewerbliche Schutzrechte … verletzen” im Sinne der Richtlinie 2004/48 fällt und folglich der Inhaber die in dieser Richtlinie vorgesehenen Garantien unabhängig von der nach nationalem Recht anwendbaren Haftungsregelung in Anspruch nehmen darf.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d'appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) mit Entscheidung vom 16. Oktober 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Oktober 2018, in dem Verfahren
IT Development SAS
gegen
Free Mobile SAS
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter), E. Juhász, M. Ilešič und C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der IT Development SAS, vertreten durch B. Lamon, avocat,
- der Free Mobile SAS, vertreten durch J. Fréneaux, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch R. Coesme, A.-L. Desjonquères und A. Daniel als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier, S. L. Kaleda und J. Samnadda als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. September 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, und Berichtigungen ABl. 2004, L 195, S. 16, und ABl. 2007, L 204, S. 27) sowie von Art. 4 der Richtlinie 2009/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. 2009, L 111, S. 16).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der IT Development SAS und der Free Mobile SAS wegen einer deliktischen Verletzungshandlung („contrefaçon”) in Bezug auf eine Software und des dadurch verursachten Schadens.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2004/48
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 10, 13 und 15 der Richtlinie 2004/48 heißt es:
„(10) Mit dieser Richtlinie sollen [die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten] einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.
…
(13) Der Anwendungsbereich dieser Richtlinie muss so breit wie möglich gewählt werden, damit er alle Rechte des geistigen Eigentums erfasst, die den diesbezüglichen Gemeinschaftsvorschriften und/oder den Rechtsvorschriften der jeweiligen Mitgliedstaaten unterliegen. …
…
(15) Diese Richtlinie sollte das materielle Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums … nicht berühren.”
Rz. 4
In Art. 1 der Richtlinie ist deren Gegenstand wie folgt definiert:
„Diese Richtlinie betrifft die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. …”
Rz. 5
Art. 2 (s„Anwendungsbereich”) der Richtlinie sieht vor:
„(1) Unbeschadet etwaiger Instrumente in den Rechtsvorschriften der [Union] oder der Mitgliedstaaten, die für die Rechtsinhaber günstiger sind, finden die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe gemäß Artikel 3 auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die im [Unions]recht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung.
…
(3) Diese Richtlinie berührt nicht:
a) die [unionsrechtlichen] Bestimmungen zum materiellen Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums …
…”
Rz. 6
Art. 3 („Allgemeine Verpflichtung”) der Richtlinie 2004/48 lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten sehen die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe vor, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, auf die diese Richtlinie abstellt, erforderlich sind. Diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssen fair und gerecht sein, außerdem dürfen sie ni...