Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 82/76/EWG. Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr. Ärzte. Erwerb des Facharztdiploms. Vergütung während der Weiterbildungszeit. Fünfjährige Verjährung des Anspruchs auf Zahlung wiederkehrender Bezüge
Beteiligte
Ministero dell'Economia e delle Finanze |
Ministero dell'Istruzione, dell'Università e della Ricerca |
Tenor
Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es dem nicht entgegensteht, dass sich ein Mitgliedstaat gegenüber der von einem Einzelnen zur Wahrung der Rechte aus einer Richtlinie erhobenen Klage auf den Ablauf einer angemessenen Verjährungsfrist beruft, obwohl er die Richtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat, sofern er nicht durch sein Verhalten die Verspätung der Klage verursacht hat. Die Feststellung eines Unionsrechtsverstoßes durch den Gerichtshof ist für den Beginn der Verjährungsfrist unerheblich, wenn dieser Verstoß außer Zweifel steht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Corte d'appello di Firenze (Italien) mit Entscheidung vom 6. Oktober 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 18. November 2009, in dem Verfahren
Tonina Enza Iaia,
Andrea Moggio,
Ugo Vassalle
gegen
Ministero dell'Istruzione, dell'Università e della Ricerca,
Ministero dell'Economia e delle Finanze,
Università degli studi di Pisa
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter J.-J. Kasel, A. Borg Barthet, E. Levits und M. Safjan (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Iaia sowie Herrn Moggio und Herrn Vassalle, vertreten durch F. Frati und A. Castagna, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch W. Ferrante als Bevollmächtigte im Beistand von S. Varone, avvocato dello Stato,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und B. Cabouat als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Traversa und S. La Pergola als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffend die Wahrung der von einer nicht umgesetzten Richtlinie verliehenen Rechte.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Iaia, Herrn Moggio und Herrn Vassalle (im Folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) einerseits und dem Ministero dell'Istruzione, dell'Università e della Ricerca (Ministerium für Unterricht, Hochschule und Forschung), dem Ministero dell'Economia e delle Finanze (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen) und der Università degli studi di Pisa (Universität Pisa) andererseits wegen der Zahlung einer „angemessenen Vergütung”, die nach der Richtlinie 82/76/EWG des Rates vom 26. Januar 1982 zur Änderung der Richtlinie 75/362/EWG für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr sowie der Richtlinie 75/363/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Arztes (ABl. L 43, S. 21) vorgesehen ist.
Rechtlicher Rahmen und Vorgeschichte des Rechtsstreits
Rz. 3
Die Richtlinie 82/76 legte mit einem Anhang über die „Merkmale der ärztlichen Weiterbildung auf Voll- und Teilzeitbasis für Fachärzte” zur Ergänzung der Richtlinie 75/363/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Arztes (ABl. L 167, S. 14) fest, dass die Zeit der Facharztausbildung auf Vollzeit- und Teilzeitbasis in allen Mitgliedstaaten „angemessen vergütet” werden muss.
Rz. 4
Mit Urteil vom 7. Juli 1987, Kommission/Italien (49/86, Slg. 1987, 2995), stellte der Gerichtshof fest, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Gemeinschaftsverpflichtungen verstoßen hatte, dass sie die Richtlinie 82/76 nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist umgesetzt hatte.
Rz. 5
Auf diese Verurteilung hin wurde die Richtlinie 82/76 durch das Decreto legislativo Nr. 257/91 vom 8. August 1991 umgesetzt. Dieses legt jedoch in Art. 8 Abs. 2 fest, dass seine Bestimmungen unter Ausschluss der in den Studienjahren 1983 bis 1991 eingeschriebenen Ärzte erst mit dem Studienjahr 1991/92 in Kraft treten.
Rz. 6
Da die in der Richtlinie 82/76 vorgesehene Verpflichtung zur Gewährung einer angemessenen Vergütung im Jahr 1983 in Kraft zu treten hatte, löste der Erlass des Decreto zahlreiche Rechtsstreitigkeiten zwischen den in den Studienjahren 1983 bis 1991 zur Facharztausbi...