Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundfreiheiten. Charta der Grundrechte der Europäischen Union. In der nationalen Regelung für die Erteilung einer Fahrschulbewilligung vorgesehene Diplomvoraussetzung. Diskriminierung der eigenen Staatsangehörigen gegenüber den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten
Normenkette
EuGH-VerfO Art. 92, 104
Beteiligte
Bürgermeister der Stadt Wels |
Tenor
1. Die Art. 12 EG, 43 EG und 49 EG stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens einem Angehörigen dieses Mitgliedstaats die Anerkennung von ihm erworbener beruflicher Befähigungsnachweise als dem Besitz des Diploms gleichwertig versagt wird, das nach dieser Regelung für die Ausübung einer selbständigen Fahrschultätigkeit in diesem Mitgliedstaat erforderlich ist.
2. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist für die Beantwortung der zweiten und der dritten Vorlagefrage des Unabhängigen Verwaltungssenats des Landes Oberösterreich offensichtlich nicht zuständig.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (Österreich) mit Entscheidung vom 27. Februar 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 6. März 2008, in dem Verfahren
Marc André Kurt
gegen
Bürgermeister der Stadt Wels
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten U. Lõhmus sowie des Richters J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter) und der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,
gemäß den Art. 92 § 1 und 104 § 3 der Verfahrensordnung, wonach der Gerichtshof durch mit Gründen versehenen Beschluss entscheiden kann,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 12 EG, 43 EG und 49 EG, der Art. 16 und 20 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1) und von Bestimmungen des österreichischen Rechts.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Kurt, einem österreichischen Staatsbürger, und dem Bürgermeister der Stadt Wels (Österreich) über einen Bescheid, mit dem Herrn Kurt die Erteilung der Fahrschulbewilligung für die Führerscheinklassen A und B versagt wurde.
Nationaler rechtlicher Rahmen
Rz. 3
§ 109 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Kraftfahrwesen vom 23. Juli 1967 (Kraftfahrgesetz 1967; BGBl. 267/1967) in geänderter Fassung (BGBl. I Nr. 57/2007, im Folgenden: KFG) bestimmt:
„Eine Fahrschulbewilligung … darf nur natürlichen Personen und nur Personen erteilt werden, die
…
e) den Abschluss eines Diplom- oder Masterstudiums im Bereich Maschinenbau oder Elektrotechnik an einer österreichischen Technischen Universität oder den Abschluss eines Bachelorstudiums im Bereich Maschinenbau oder Elektrotechnik haben oder das Diplom einer Fachhochschule für Maschinenbau oder für Elektrotechnik besitzen oder die Reife- oder Diplomprüfung an einer österreichischen Höheren technischen und gewerblichen Lehranstalt mit einem maschinenbaulichen, mechatronischen, elektrotechnischen oder elektronischen Ausbildungsschwerpunkt erfolgreich bestanden haben, unbeschadet zwischenstaatlicher Vereinbarungen über die gegenseitige Anerkennung akademischer Grade …”
Rz. 4
§ 109 Abs. 5 KFG bestimmt:
„Die Bezirksverwaltungsbehörde hat bei Prüfung der persönlichen Voraussetzungen gemäß Abs. 1 lit. e bis h auch die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem anderen EWR-Vertragsstaat erworbenen Qualifikationen im Sinne der Richtlinie des Rates Nr. 92/51/EWG, ABl. Nr. L 209 vom 24. Juli 1992, S 25, über eine zweite allgemeine Regelung zur Anerkennung beruflicher Befähigungsnachweise in Ergänzung der Richtlinie 89/48/EWG entsprechend zu berücksichtigen und zu beurteilen, ob und inwieweit diese den nationalen Erfordernissen entsprechen. Sie hat hierüber binnen vier Monaten zu entscheiden.”
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rz. 5
Der Vorlageentscheidung zufolge wohnt Herr Kurt in Österreich und hat dort nach dem Grundschulabschluss einen Lehrabschluss als Karosseriespengler erlangt. Nachdem er sich längere Zeit am Golan aufgehalten hatte und dort als Kraftfahrer tätig war, war er ab 1990 als Linienbuslenker bei der Stadt Linz (Österreich) beschäftigt, wobei er ab diesem Zeitpunkt auch als Fahrlehrer bei verschiedenen Fahrschulen in Österreich tätig war.
Rz. 6
In der Folge arbeitete Herr Kurt eng mit seinem damaligen Arbeitgeber, einer Fahrschule in Linz, zusammen und leitete sodann finanziell wie fachlich selbstständig eine in Wels ansässige Fahrschule.
Rz. 7
Ein erster Antrag von Herrn Kurt gegen eine frühere Versagung der Erteilung einer Fahrschulbewilligung war vom vorlegenden Gericht mit Erkenntnis vom 26. Januar 2005 abgewiesen worden. In diesem Antragsverfahren war der Verfassungsgerichtshof mit einem Gesetzesprüfungsantrag hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 109 Abs. 1 lit. ...