Entscheidungsstichwort (Thema)
Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates. Art. 7 Abs. 1. Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört. Thailändische Staatsangehörige, die mit einem türkischen Arbeitnehmer verheiratet war und mit ihm mehr als drei Jahre zusammengelebt hat
Beteiligte
Tenor
Art. 7 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das – am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und von den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnete und im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 geschlossene, gebilligte und bestätigte – Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ist dahin auszulegen, dass sich ein Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers, der Staatsangehöriger eines anderen Drittlands als der Türkei ist, im Aufnahmemitgliedstaat auf die sich aus dieser Bestimmung ergebenden Rechte berufen kann, wenn alle anderen darin vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Gießen (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. August 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 1. September 2011, in dem Verfahren
Natthaya Dülger
gegen
Wetteraukreis
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter) sowie der Richter U. Lõhmus, A. Rosas, A. Ó Caoimh und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Dülger, vertreten durch Rechtsanwalt C. Momberger,
- des Wetteraukreises, vertreten durch D. Mayer als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch A. Wiedmann als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch F. Koppensteiner als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und G. Rozet als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juni 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde eingerichtet durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits sowie von den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet wurde und das im Namen der Gemeinschaft durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685, im Folgenden: Assoziierungsabkommen).
Rz. 2
Dieses Ersuchen erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Natthaya Dülger, einer thailändischen Staatsangehörigen, und dem Wetteraukreis wegen dessen Weigerung, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Assoziierungsabkommen EWG-Türkei
– Das Assoziierungsabkommen
Rz. 3
Gemäß seinem Art. 2 Abs. 1 ist Ziel des Assoziierungsabkommens, durch die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien, u. a. im Bereich der Arbeitskräfte, zu fördern, um die Lebenshaltung des türkischen Volkes zu bessern und später den Beitritt der Republik Türkei zur Europäischen Gemeinschaft zu erleichtern.
– Das Zusatzprotokoll
Rz. 4
Das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnete und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte Zusatzprotokoll (im Folgenden: Zusatzprotokoll) legt in Art. 1 die Bedingungen, die Einzelheiten und den Zeitplan für die Verwirklichung der in Art. 4 des Assoziierungsabkommens genannten Übergangsphase fest. Nach Art. 62 des Zusatzprotokolls ist es Bestandteil dieses Abkommens.
Rz. 5
Art. 59 dieses Protokolls bestimmt:
„In den von diesem Protokoll erfassten Bereichen darf der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander auf Grund des Vertrags zur Gründung der Gemeinschaft einräumen.”
– Der Be...