Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Einstellung eines befristet beschäftigten Arbeitnehmers als Dauerbeschäftigten. Bestimmung des Dienstalters. Keine Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten, die im Rahmen von befristeten Arbeitsverträgen zurückgelegt wurden, die vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 1999/70 geschlossen wurden. Unmittelbare Anwendung auf die künftigen Wirkungen einer unter dem alten Recht entstandenen Rechtsposition
Normenkette
Richtlinie 1999/70/EG; EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge § 4
Beteiligte
Consiglio nazionale delle Ricerche |
Consiglio Nazionale delle Ricerche (CNR) |
Tenor
Paragraf 4 Nrn. 1 und 4 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge enthalten ist,
ist dahin auszulegen, dass
er dem entgegensteht, dass das Dienstalter, das ein Arbeitnehmer auf der Grundlage von befristeten Arbeitsverträgen erreicht hat, die ganz oder teilweise vor dem Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie durchgeführt wurden, bei der Festlegung der Vergütung des Arbeitnehmers anlässlich seiner unbefristeten Einstellung nach diesem Zeitpunkt nicht berücksichtigt wird, es sei denn, dieser Ausschluss ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
Tatbestand
In der Rechtssache C-439/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale civile di Padova (Zivilgericht Padua, Italien) mit Entscheidung vom 22. Juni 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Juli 2023, in dem Verfahren
KV
gegen
Consiglio Nazionale delle Ricerche (CNR)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, des Präsidenten der Ersten Kammer A. Arabadjiev (Berichterstatter) und des Richters P. G. Xuereb,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von KV, vertreten durch F. Americo, Avvocato,
- – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von L. Fiandaca und M. T. Lubrano Lobianco, Avvocati dello Stato,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und F. van Schaik als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Paragraf 4 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmenvereinbarung), die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43) enthalten ist.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen KV und dem Consiglio Nazionale delle Ricerche (CNR) (Nationaler Forschungsrat, Italien) über die Berechnung des Dienstalters von KV zum Zeitpunkt des Abschlusses eines unbefristeten Arbeitsvertrags mit dem CNR.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Aus dem 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 1999/70, die auf Art. 139 Abs. 2 EG gestützt ist, geht hervor, dass die Unterzeichnerparteien der Rahmenvereinbarung mit deren Abschluss die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung verbessern und einen Rahmen schaffen wollten, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse verhindert.
Rz. 4
Nach Art. 1 der Richtlinie 1999/70 soll mit dieser „die zwischen den allgemeinen branchenübergreifenden Organisationen (EGB, UNICE und CEEP) geschlossene Rahmenvereinbarung …, die im Anhang enthalten ist, durchgeführt werden“.
Rz. 5
Art. 2 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 10. Juli 2001 nachzukommen, oder vergewissern sich spätestens zu diesem Zeitpunkt, dass die Sozialpartner im Wege einer Vereinbarung die erforderlichen Vorkehrungen getroffen haben; dabei haben die Mitgliedstaaten alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die durch die Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden. Sie setzen die [Europäische] Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.
…
Wenn die Mitgliedstaaten die Vorschriften nach Absatz 1 erlassen, nehmen sie in diesen Vorschriften selbst oder bei deren amtlicher Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten der Bezugnahme.“
Rz. 6
Gemäß Art. 3 der Richtlinie 1999/70 ist diese am 10. Juli 1999, dem Tag ihrer Veröffentlichung imAmtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, in Kraft getreten.
Rz. ...