Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Verhältnismäßigkeit. Freier Dienstleistungsverkehr. Nationale Regelung, die die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen selbständigen Dienstleistungserbringer zu einer vorherigen Meldung verpflichtet. Strafrechtliche Sanktionen. Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs. Sachlich gerechtfertigte Unterscheidung. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses. Betrugsvorbeugung. Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Schutz der selbständig Erwerbstätigen

 

Normenkette

AEUV Art. 56

 

Beteiligte

Kommission / Belgien

Europäische Kommission

Königreich Belgien

 

Tenor

1. Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 AEUV verstoßen, dass es Art. 137 Nr. 8, Art. 138 dritter Gedankenstrich, Art. 153 und Art. 157 Nr. 3 des Programmgesetzes (I) vom 27. Dezember 2006 in seiner seit dem 1. April 2007 geltenden Fassung erlassen und damit selbständigen Dienstleistungserbringern, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen sind, die Pflicht auferlegt hat, eine der Ausübung ihrer Tätigkeit in Belgien vorhergehende Meldung abzugeben.

2. Dem Königreich Belgien werden die Kosten auferlegt.

3. Das Königreich Dänemark trägt seine eigenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 10. Dezember 2010,

Europäische Kommission, vertreten durch E. Traversa, C. Vrignon und J.-P. Keppenne als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Königreich Belgien, vertreten durch M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von S. Rodrigues, avocat,

Beklagter,

unterstützt durch:

Königreich Dänemark, vertreten durch C. Vang, S. Juul Jórgensen und V. Pasternak Jørgensen als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, des Richters J.-C. Bonichot, der Richterinnen C. Toader und A. Prechal sowie des Richters E. Jarašiūnas (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Cruz Villaløn,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2012,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Juli 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 56 AEUV verstoßen hat, dass es Art. 137 Nr. 8, Art. 138 dritter Gedankenstrich, Art. 153 und Art. 157 Nr. 3 des Programmgesetzes (I) vom 27. Dezember 2006 (Belgisches Staatsblatt vom 28. Dezember 2006, S. 75178; offizielle deutsche Übersetzung: Belgisches Staatsblatt vom 1. Juni 2007, S. 29615) in seiner seit dem 1. April 2007 geltenden Fassung (im Folgenden: streitige Vorschriften oder Programmgesetz) erlassen und damit selbständigen Dienstleistungserbringern, die in einem anderen Mitgliedstaat als dem Königreich Belgien niedergelassen sind, die Pflicht auferlegt hat, eine der Ausübung ihrer Tätigkeit in Belgien vorhergehende Meldung (im Folgenden: Limosa-Meldung) abzugeben.

Rz. 2

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 11. April 2011 ist das Königreich Dänemark als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Königreichs Belgien zugelassen worden.

Nationales Recht

Rz. 3

Kapitel VIII des soziale Angelegenheiten betreffenden Titels IV des Programmgesetzes regelt die „vorhergehende Meldung für entsandte Arbeitnehmer und Selbständige”. Es wurde durch den Königlichen Erlass vom 20. März 2007 zur Ausführung dieses Kapitels (Belgisches Staatsblatt vom 28. März 2007, S. 16975; deutsche Übersetzung Belgisches Staatsblatt vom 30. Oktober 2008, S. 57440), der mit Königlichem Erlass vom 31. August 2007 (Belgisches Staatsblatt vom 13. September 2007, S. 48537; deutsche Übersetzung: Belgisches Staatsblatt vom 30. Oktober 2008, S. 57452) geändert wurde (im Folgenden: Königlicher Erlass), ergänzt.

Rz. 4

Die streitige Pflicht zur Meldung wurde im Rahmen eines umfassenderen Projekts mit dem Namen „Limosa”, einem Akronym für „Landenoverschrijdend Informatiesysteem ten behoeve van Migratieonderzoek bij de Sociale Administratie” (Länderübergreifendes Informationssystem für Migrationsuntersuchung im Bereich der Sozialen Administration, im Folgenden: Limosa-System), eingeführt. Mit diesem Projekt soll eine einheitliche elektronische Anlaufstelle für die Vornahme aller im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit in Belgien erforderlichen Schritte geschaffen werden. So sind die anlässlich der Limosa-Meldung erhobenen Informationen zur Aufnahme in ein zentrales Register bestimmt und werden für Zwecke der Statistik und Kontrolle über eine gemeinsame EDV-Plattform allen belgischen föderalen und regionalen Inspektionsdiensten zugänglich gemacht.

Das Programmgesetz

Rz. 5

In Art. 137 des Programmgesetzes heißt es:

„Für die Anwendung des vorliegende...

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