Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Zuständigkeit für Versicherungssachen. Bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten bestehende Möglichkeit, den in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes zu verklagen, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat. Unmittelbare Klage des Geschädigten gegen den Versicherer. Persönlicher Anwendungsbereich. Begriff ‚Geschädigter’. Gewerbetreibender im Versicherungssektor. Besondere Zuständigkeiten. Begriffe ‚Zweigniederlassung’, ‚Agentur’ oder ‚sonstige Niederlassung’
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 10, 11 Abs. 1 Buchst. a, Art. 13 Abs. 2, Art. 7 Nrn. 2, 5
Beteiligte
CNP spółka z ograniczoną odpowiedzialnoscią |
Tenor
1. Art. 13 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist in Verbindung mit Art. 10 dieser Verordnung dahin auszulegen, dass er im Fall eines Rechtsstreits zwischen einem Gewerbetreibenden, der eine Forderung erworben hat, die ursprünglich einem Geschädigten gegen ein Haftpflichtversicherungsunternehmen zustand, und dem betreffenden Haftpflichtversicherungsunternehmen nicht anwendbar ist und es daher nicht ausschließt, dass die gerichtliche Zuständigkeit für einen solchen Rechtsstreit gegebenenfalls auf Art. 7 Nr. 2 oder auf Art. 7 Nr. 5 dieser Verordnung gestützt wird.
2. Art. 7 Nr. 5 der Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass eine Gesellschaft, die in einem Mitgliedstaat aufgrund eines Vertrags mit einem in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherungsunternehmen in dessen Namen und für dessen Rechnung eine Tätigkeit der Schadensregulierung im Rahmen der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung ausübt, als Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist, wenn diese Gesellschaft
- auf Dauer als Außenstelle des Versicherungsunternehmens hervortritt und
- eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass sie in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese sich nicht unmittelbar an das Versicherungsunternehmen zu wenden brauchen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy w Białymstoku (Rayongericht Białystok, Polen) mit Entscheidung vom 18. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Dezember 2019, in dem Verfahren
CNP spółka z ograniczoną odpowiedzialnoscią
gegen
Gefion Insurance A/S
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter N. Wahl und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi (Berichterstatterin) sowie des Richters J. Passer,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der CNP spółka z ograniczoną odpowiedzialnoscią, vertreten durch K. Janiec-Janowska, radca prawny,
- der Gefion Insurance A/S, vertreten durch I. Łyszkiewicz, radca prawny,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und B. Sasinowska als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Januar 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 10 sowie von Art. 7 Nrn. 2 und 5 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der CNP spółka z ograniczoną odpowiedzialnoscią (im Folgenden: CNP), einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Polen, und der Gefion Insurance A/S (im Folgenden: Gefion), einer Versicherungsgesellschaft mit Sitz in Dänemark, über den Ersatz eines durch einen Verkehrsunfall in Polen verursachten Schadens.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 1215/2012
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 15, 18 und 34 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:
„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen...