Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit in Versicherungssachen. Vom Geschädigten unmittelbar gegen den Versicherer erhobene Klage. Klage des Dienstgebers des Geschädigten, einer Anstalt öffentlichen Rechts, als Legalzessionar der Rechte seines Dienstnehmers gegen den Versicherer des beteiligten Fahrzeugs. Eintritt
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 9 Abs. 1; Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 11 Abs. 2
Beteiligte
Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft – KABEG |
Mutuelles du Mans assurances – MMA IARD SA |
Tenor
Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass ein in einem ersten Mitgliedstaat ansässiger Dienstgeber, der das Entgelt seines infolge eines Verkehrsunfalls arbeitsunfähigen Dienstnehmers fortgezahlt hat und in die Rechte eingetreten ist, die dem Dienstnehmer gegenüber der in einem zweiten Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft, bei der das an diesem Unfall beteiligte Fahrzeug haftpflichtversichert ist, zustehen, in seiner Eigenschaft als „Geschädigter” im Sinne der letztgenannten Bestimmung die Versicherungsgesellschaft vor den Gerichten des ersten Mitgliedstaats verklagen kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Beschluss vom 25. Mai 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Juni 2016, in dem Verfahren
Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft – KABEG
gegen
Mutuelles du Mans assurances – MMA IARD SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft – KABEG, vertreten durch Rechtsanwalt H. H. Toriser,
- der Mutuelles du Mans assurances – MMA IARD SA, vertreten durch Rechtsanwalt M. Angerer,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Di Matteo, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Mai 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft – KABEG (im Folgenden: KABEG), einer Anstalt öffentlichen Rechts mit Sitz in Klagenfurt am Wörthersee (Österreich), die Krankenanstalten betreibt, und der Mutuelles du Mans assurances – MMA IARD SA (im Folgenden: MMA IARD), einer in Frankreich ansässigen Versicherungsgesellschaft, über die Klage der KABEG auf Schadenersatz wegen Fortzahlung des Entgelts eines ihrer Dienstnehmer während eines Zeitraums vorübergehender Arbeitsunfähigkeit infolge eines Verkehrsunfalls in Italien, an dem der besagte Dienstnehmer sowie ein bei der MMA IARD haftpflichtversichertes Kraftfahrzeug beteiligt waren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 44/2001
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 11 bis 13 der Verordnung Nr. 44/2001 lauteten:
„(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.
(13) Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.”
Rz. 4
Die durch die Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Zuständigkeitsregeln befanden sich in ihrem Kapitel II, das aus den Art. 2 bis 31 bestand.
Rz. 5
Der zu Abschnitt 1 („...