Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Zuständigkeit für Versicherungssachen. Persönlicher Anwendungsbereich. Begriff ‚Geschädigter’. Gewerbetreibender im Versicherungssektor. Ausschluss
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 11 Abs. 1 Buchst. b, Art. 13 Abs. 2
Beteiligte
LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster AG |
Tenor
Art. 13 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung dahin auszulegen, dass sich eine natürliche Person, deren gewerbliche Tätigkeit insbesondere in der Geltendmachung von Schadensersatzforderungen gegen Versicherer besteht und die sich auf einen mit dem Opfer eines Verkehrsunfalls geschlossenen Zessionsvertrag beruft, um vor einem Gericht des Mitgliedstaats des Wohnsitzes des Geschädigten Klage zu erheben gegen den Haftpflichtversicherer des Verursachers dieses Unfalls, dessen Sitz sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, nicht auf diese Bestimmung berufen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy w Szczecinie (Bezirksgericht Szczecin [Stettin], Polen) mit Entscheidung vom 30. Januar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Februar 2017, in dem Verfahren
Paweł Hofsoe
gegen
LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Malenovský sowie der Richter D. Šváby (Berichterstatter) und M. Vilaras,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster AG, vertreten durch M. Siewiera-Misiuda, radca prawny,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und P. Lacerda als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und A. Stobiecka-Kuik als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b und Art. 13 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Paweł Hofsoe und der LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster AG (im Folgenden: LVM) mit Sitz in Münster (Deutschland) über eine Schadensersatzforderung, die Herr Hofsoe gegen LVM als Versicherer vor polnischen Gerichten geltend macht.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 1215/2012
Rz. 3
Die Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmt in ihren Erwägungsgründen 15 und 18:
„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
…
(18) Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.”
Rz. 4
Kapitel II dieser Verordnung, in dem die Zuständigkeitsvorschriften geregelt sind, enthält einen Abschnitt 1 „Allgemeine Bestimmungen”), der aus den Art. 4 bis 6 besteht.
Rz. 5
Art. 4 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.”
Rz. 6
Art. 5 Abs. 1 der Verordnung lautet:
„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.”
Rz. 7
Die Vorschriften über die Zuständigkeit für Versicherungssachen, die in Kapitel II Abschnitt 3 der Verordnung Nr. 1215/2012 geregelt sind, befinden sich in deren Art. 10 bis 16.
Rz. 8
Art. 11 Abs. 1 der Verordnung bestimmt:
„Ein Versicherer, de...