Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Begriff ‚Gleichartige Leistungen’. Gleichstellung von Leistungen bei Alter von zwei Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums. Nationale Regelung, die in anderen Mitgliedstaaten bezogene Leistungen bei Alter bei der Berechnung der Sozialbeiträge berücksichtigt
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Art. 5
Beteiligte
Vorarlberger Gebietskrankenkasse |
Landeshauptmann von Vorarlberg |
Tenor
Art. 5 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens Leistungen bei Alter, die aus einem System der beruflichen Vorsorge eines Mitgliedstaats bezogen werden, und solche, die aus einem gesetzlichen Pensionssystem eines anderen Mitgliedstaats bezogen werden, wobei beide Systeme in den Geltungsbereich der besagten Verordnung fallen, gleichartige Leistungen im Sinne dieser Bestimmung sind, wenn die beiden Kategorien von Leistungen dasselbe Ziel verfolgen, ihren Empfängern die Beibehaltung eines Lebensstandards zu gewährleisten, der jenem vor ihrem Ruhestand entspricht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 10. September 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 2014, in dem Verfahren
Vorarlberger Gebietskrankenkasse,
Alfred Knauer
gegen
Landeshauptmann von Vorarlberg,
Beteiligter:
Rudolf Mathis,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterinnen A. Prechal (Berichterstatterin) und K. Jürimäe,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: V. Giacobbo-Peyronnel, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juli 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Vorarlberger Gebietskrankenkasse, vertreten durch Rechtsanwalt J. Lercher,
- von Herrn Knauer, vertreten durch Rechtsanwälte J. Nagel und M. Bitriol,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Kaye als Bevollmächtigte im Beistand von T. de la Mare, QC,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Kellerbauer und D. Martin als Bevollmächtigte,
- der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch M. Moustakali, X. Lewis und M. Schneider als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. November 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, und Berichtigung im ABl. 2004, L 200, S. 1) und von Art. 45 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vorarlberger Gebietskrankenkasse (im Folgenden: Krankenkasse) und Herrn Knauer auf der einen sowie dem Landeshauptmann von Vorarlberg auf der anderen Seite über die Verpflichtung von Herrn Knauer, zur österreichischen Krankenversicherung Beiträge von den Rentenleistungen zu entrichten, die er aus einem System der beruflichen Vorsorge des Fürstentums Liechtenstein monatlich bezieht.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der neunte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 883/2004 lautet:
„Der Gerichtshof hat mehrfach zur Möglichkeit der Gleichstellung von Leistungen, Einkünften und Sachverhalten Stellung genommen; dieser Grundsatz sollte explizit aufgenommen und ausgeformt werden, wobei Inhalt und Geist der Gerichtsentscheidungen zu beachten sind.”
Rz. 4
In Art. 3 („Sachlicher Geltungsbereich”) der Verordnung heißt es:
„(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:
…
d) Leistungen bei Alter;
…”
Rz. 5
Art. 5 („Gleichstellung von Leistungen, Einkünften, Sachverhalten oder Ereignissen”) der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:
„Sofern in dieser Verordnung nicht anderes bestimmt ist, gilt unter Berücksichtigung der besonderen Durchführungsbestimmungen Folgendes:
- Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar.
- Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, al...